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Hält sich die Eurozone am letzten Strohhalm fest?

Foto: Reuters/Best

Geht es nach dem "Think Tank" Exclusive Analysis, dann sieht es für die Eurozone nicht gut aus. Laut der Londoner Denkfabrik stehen die Chancen sehr schlecht, dass die europäische Schuldenkrise ohne einem griechischen Staatsbankrott, einer Bankenkrise, Wirtschaftseinbrüchen und zivilen Unruhen in Italien und Portugal sowie mit einer Herabstufung Frankreichs und des Rettungsfonds EFSF einhergeht. Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten dieser Ereignisse bezeichnen die Analysten mit 65 Prozent. Aber auch die milderen Szenarien geben kaum Raum für Heiterkeit. Die Eurozone muss den Gürtel  bald enger schnallen, so scheint es.

Die Studie, die auf CNBC präsentiert wurde, rechnet mit einer Bankenkrise Ende November diesen Jahres. Ausgelöst werde sie durch den griechischen Schuldenschnitt, welchem der hellenische Staatsbankrott und das Wanken des italienischen Bankensystems folgen würden.

Umfrage gibt dunklen Szenarien Auftrieb

Auftrieb gibt der Analyse auch eine am Mittwoch erschienene Reuters-Umfrage unter Ökonomen, die die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in der Eurozone bei 60 Prozent sehen. Eine Rezession bedeutet, dass die Wirtschaftsleistung zumindest für zwei aufeinanderfolgende Quartale zurückgeht. Sechs von zehn dazu befragten Experten rechnen damit, dass der Wirtschaftsraum der 17 Euroländer schon in diesem Quartal um 0,1 Prozent verliert.

Auch Mario Draghi, der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, sprach letzten Donnerstag von einer "milden Rezession" bis zum Jahresende.

Politiker haben versagt

Das "Durchwursteln" der Politiker in der Schuldenkrise habe versagt, so die Analysten von Exclusive Analysis. Da die USA, Großbritannien und die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China dem europäischen Krisenmanagement nicht trauten, würden sie sich weigern, ihr Geld in die Töpfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) und des Rettungsfonds EFSF zu stecken. Damit falle den Euroländern die Hebelwirkung ihrer eigenen Rettung weg. Im schlimmsten Fall rechnen die Experten mit einem Zusammenbruch der Regierungen in Griechenland und Portugal, gefolgt von sozialen Unruhen. Zusätzlich würde sich das reiche Deutschland weigern, mehr in den Eurorettungsfonds EFSF einzuzahlen und die Malaise manifestieren.       

Wenn die devisenstarken Schwellenländer ihre Unterstützung verneinen, dann werde "der EFSF die Europäische Zentralbank (EZB) um Hilfe bitten, die wird sich aber weigern jene Menge an Geld zu drucken, die der Fonds braucht, um die PIIGS (Anm. Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) zu retten", wie CNBC zitiert. Angesichts des EU-Unvermögens, den EFSF zu stärken, weigerten sich die europäischen Banken, wie ursprünglich vereinbart, auf die Hälfte ihrer Forderungen gegenüber Griechenland zu verzichten. Schließlich würden sowohl der IWF, als auch die EZB ihre Zahlungen an Griechenland einstellen, heißt es in dem Report, der Mittwochfrüh europäischer Zeit präsentiert wurde.

Häufige Regierungswechsel erschweren Lösung

Das alles soll sich innerhalb weniger Wochen zutragen. Da in diesem Szenario auch Frankreichs Kreditwürdigkeit flöten ginge, würden die Banken aufhören sich gegenseitig Geld zu leihen. Die neuen Regierungen in Griechenland, Spanien und Italien würden einer Bevölkerung gegenüberstehen, die mit ihren Protesten schärfere Sparprogramme verhindert.

Der häufige Wechsel der politischen Führung wird in der Analyse nicht umsonst als lösungshemmend angesehen. So stehen gerade in der Krise massive Regierungsumbildungen an. Die Spanier wählen am 20. November ein neues Parlament, in Griechenland gibt es seit Mittwochabend eine neue Übergangsregierung. Und auch Italiens Premier Silvio Berlusconi hat seinen Rücktritt ankündigt. Er hält vorgezogene Parlamentswahlen bereits im Februar kommenden Jahres für möglich.

Sparer heben ihr Geld ab, die Banken misstrauen einander

Schließlich sollen auch die Sparer das Weite suchen: "Die wachsende Angst, dass diese Ökonomien (Anm. Griechenland und Portugal) Bankrott gehen, wird einen Ansturm auf die Banken in Griechenland und Portugal auslösen." Anzeichen dafür gibt schon jetzt. So haben in den letzten sieben Tagen alleine die Griechen fünf Milliarden Euro abgehoben, was fast drei Prozent aller hellenischen Einlagen bedeutet.  

Frankreich wäre dadurch doppelt betroffen. Die durch den griechischen Schuldenschnitt bedingten staatlichen Geldspritzen für die Banken könnten dann insofern teurer ausfallen, als dass die Republik auch für die hellenischen Töchter ihrer Banken gerade stehen muss. Laut Exclusive Analysis würde die Kreditwürdigkeit Frankreichs von AAA auf AA herabgestuft werden, was in einem weiteren Schritt auch die Bonität des Rettungsfonds EFSF auf AA+ drücken würde.

Da dann alle PIIGS-Länder für ihre Staatsanleihen höhere Zinsen zahlen müssten, würden in einem zweiten Schritt auch die Menschen in Italien und Spanien aus Angst vor einer Bankenkrise ihre Einlagen in bar einfordern. Schließlich würde das erst recht in einem Kollaps des Interbankenmarktes enden. Griechenland würde nicht nur Pleite gehen, sondern auch aus dem Euro austreten und wieder die Drachme als Währung einführen. Mit der Umwandlung der Euroguthaben in Drachmen und der folgenden massiven Abwertung der neuen Währung würde der in Euro ermittelte Bargeldbestand natürlich stark sinken. Das betrifft wiederum jene ausländischen Gläubiger, die ihr Geld noch nichts ins Trockene gebracht haben. Und die Exportwirtschaft, deren Produkte dadurch massiv teurer würden.

Die Realitätswerdung dieses Untergangsszenarios prognostizieren die Risikoforscher für Ende November.  

Mehr Zeit, gleiches Ergebnis, kaum Hoffnung

Mehr Zeit, aber nicht viel mehr Hoffnung lässt da jenes Szenario, dass den Euro-Politikern eine Gnadenfrist lässt. So werde zwar Griechenland noch immer Pleite gehen, aber eben erst in den ersten Monaten des nächsten Jahres. Das würde den Politikern mehr Zeit geben, einen höheren griechischen Schuldenschnitt auszuhandeln und den Widerstand der USA und Großbritannien zu brechen, mit IWF-Geldern den Euro-Rettungsschirm zu mehr "Feuerkraft" zu verhelfen.

Die Zinsaufschläge auf italienische, spanische und portugiesische Staatsanleihen würden zwar auch in diesem Fall steigen, und Spanien und Italien müssten mit einer Herabstufung ihrer Bonität rechnen. Aber der durch die USA und Großbritannien gebotene Rückhalt im IWF würde es ermöglichen, dass sich die Märkte beruhigten und die Zinsaufschläge letztendlich wieder sinken. Allerdings würde diese Gnadenfrist nur zwei Jahre gewährt. Dann würden die Griechen endgültig Pleite gehen, aus der Eurozone austreten und sich die Krise wieder verschärfen. Die Analysten geben diesem Verlauf eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent.

Happy End braucht Bürgerbeteiligung

Ein Happy End halten die Verfasser nur für wenig wahrscheinlich. Sie geben einer baldigen Lösung der Eurokrise nur eine Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent. In diesem Fall würde Griechenland zwar bis Ende des Jahres Pleite gehen, aber die "stärkere politische Führung in den anderen PIIGS-Staaten" würde ein komplettes Einbrechen der Eurozone, wie wir sie kennen, verhindern.

Die Bürger der betroffenen Länder würden in diesem Fall die Notwendigkeit radikaler Sparprogramme anerkennen und sie über sich ergehen lassen. Der griechische Schuldenschnitt würde 70 Prozent betragen, eine aus Experten bestehende Regierung würde die hellenische Staatsinsolvenz geordnet durchführen. Die EZB würde mehr Staatsanleihen verschuldeter Staaten aufkaufen. Dieser europäische Schulterschluss würde den Währungsfonds und die BRIC-Staaten dazu verleiten, den Euro-Rettungsfonds mit mehr Geld auszuhelfen.

Das Fazit: "Die Marktsituation verbessert sich und die Zinsaufschläge der PIIGS-Staatsanleihen sinken. Vor allem Italien und Spanien fassen durch geringere Zinskosten und den französisch-deutschen Druck, der Verlängerung ihrer Anleihen zuzustimmen, neuen Mut." (sos, derStandard.at, 10.11.2011)