Das Freedom Theatre aus dem Westjordanland will "friedlichen Widerstand" üben.

Foto: Dschungel Wien

Wien - Nebel steigt auf im großen Saal des Dschungel Wien. Geräusche von Bombenhagel erfüllen den Raum. Fünf junge Männer, barfuß, in hautengen schwarzen Tanktops und Cargohosen, erobern schreiend die Bühne. Das Publikum findet sich inmitten einer Choreografie wieder, die gemeinsam mit gleißenden Scheinwerfern die Wirren einer Schlacht suggeriert.

Schreie und Bewegung sind Hauptelemente von Fragments of Palestine II, produziert vom Freedom Theatre im Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland. Das Stück gastierte letzte Woche im Theaterhaus für junges Publikum.

Es sind Schreie der Verzweiflung und der Unterdrückung. Die Darsteller verfallen einem Kreislauf aus untereinander weitergegebener Aggression. Die Wurzel ihres Leids tritt in Form einer Gestalt mit schwarzbemaltem Gesicht und zerrissener Uniformjacke zu Queens Another One Bites The Dust auf. Die bloße Präsenz dieses Akteurs versetzt die anderen in Schrecken, ihr Schicksal liegt in seinen Händen. Er scheucht sie durch den Raum und lässt sie für seine Kamera posieren. Als gnadenloser Dirigent kontrolliert er seine Opfer, während diese sich unter Schmerzen winden. Doch der vermeintliche Machthaber untersteht selbst einer höheren Instanz. Mit dem Eintreffen zweier Männer muss auch er gerade stehen.

Theater der Hoffnung

Weitgehend ohne Text und Dialoge versucht das Freedom Theatre seine Botschaften zu übermitteln. Kommt Sprache zum Einsatz, handelt es sich um Arabisch oder eine eigene Fantasiesprache. Das Ende von Fragments of Palestine II präsentiert sich, wie der Anfang, mit Tumult und Gewalt.

Nach einer kurzen Aufräumaktion im Theatersaal folgt ein Publikumsgespräch, die arabischen Beiträge werden simultan übersetzt. Viele offengebliebene Fragen können hier beantwortet werden. Der Besucherandrang übersteigt die Kapazität des Raumes, einige bleiben ohne Kopfhörer und Sitzplatz. Zu deren Glück findet sich ein williger arabischer Native Speaker, der spontan dolmetscht.

Die jungen Darsteller werden auf den Einführungsfilm zur Entstehung des Freedom Theatre angesprochen. Gegründet von Arna Mer-Khamis während der Ersten Intifada - eines palästinensischen Aufstands gegen Israel -, war das Projekt von ihrem Sohn Juliano weitergeführt worden. Im April diesen Jahres wurde der Schauspieler und Regisseur ermordet.

Trotzdem entschloss sich das Ensemble weiterzumachen und mit einem neuen Stück auf Tournee zu gehen. "Juliano hätte es so gewollt", meint Zoe Lafferty, Ko-Regisseurin des Stückes. Die drei Schauspieler auf dem Podium sprechen leidenschaftlich über ihre Arbeit, die sie Hoffnung schöpfen lässt. Sie sehen das Theater als Mittel für friedlichen Widerstand, für eine"Dritte Intifada", allerdings eine "politisch-kulturelle" und keine gewaltvolle.

Realitäten abbilden

"Für uns ist es allerdings nicht einfach, ein Publikum in Palästina zu finden", erklärt Faisal Abualhayjaa (22). Auch ihre Familien seien anfangs skeptisch gewesen, was die Schauspielerei betrifft. Die jungen Darsteller sehen ihre Mission vor allem darin, die Realität ihres Lebens unter der Besatzung nach außen zu tragen. So wohne er zwar in der Nähe des Meeres, erzählt Motaz Malhees (18), doch habe er es noch nie gesehen. (ant, bsb, DER STANDARD, Printausgabe, 9.11.2011)