Zwei Denkschulen konkurrieren derzeit unter Ökonomen und Wirtschaftspolitikern: Die einen meinen, die Eurozone müsse das komplette Waffenarsenal mobilisieren, um den Angriff der Finanzmärkte auf angeschlagene Staaten abzuwehren. Andere wiederum plädieren dafür, dass jedes Land seine Hausaufgaben erledigt, dann werde auch die ersehnte Beruhigung einkehren; sollte das nicht funktionieren, dann muss der Austritt aus der Eurozone erfolgen.

Beide Varianten haben einiges für sich. Das Problem der Währungsunion ist, dass sie sich zu keiner durchringen kann und daher ihre Feuerwehraktionen dem Währungsfonds übertragen sollte. Zwar wurde mit dem Schuldenschnitt für Griechenland nach langem Zögern ein mutiger Schritt gesetzt, der nicht nur eine Reduktion des Schuldendienstes bringt, sondern auch die Investoren zur Verantwortung zieht, die Staaten zu leichtfertig Geld verleihen. Aber die Absicherung weiterer Staaten, insbesondere Italiens, droht wegen mangelnder Reformbereitschaft Roms und fehlender Sanktionsmöglichkeiten der Eurozone zu scheitern.

Die andere Methode wäre eben der Griff in die Instrumentenkiste: unlimitierte Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank, dazu noch ein engmaschigeres Auffangnetz durch einen deutlich aufgestockten Rettungsfonds. Auch in diesem Fall lautet die konsequente Antwort der Euro-Spitzen: Jein. Ja, wir wollen den Schutzschirm vergrößern, aber nein, nicht durch höhere Haftungen, sondern nur durch eine Hebelung (die zusehends zum Gespött wird). Ja, die EZB springt angeschlagenen Staaten zur Seite, aber nein, nicht dauerhaft und nur in limitiertem Umfang.

Damit wurde eine echte Lose-lose-Situation herbeigeführt: Der Glaube an die Unabhängigkeit der Zentralbank geht angesichts des 183 Milliarden Euro hohen Berges an Ramschpapieren verloren, ohne dass sich die Situation an den Anleihemärkten entspannt hätte. Im Gegenteil: Der Exodus der Investoren aus Italien hat ein Ausmaß erreicht, bei dem erstmals ernsthaft eine Zahlungsunfähigkeit Roms ins Auge gefasst werden muss, obwohl sich die Finanzlage des Landes seit Jahren de facto nicht verändert hat. Vor allem der Anstieg der kurzfristigen Zinsen erscheint beängstigend, impliziert er doch einen Kollaps innerhalb von zwei Jahren.

Da hilft es wenig, wenn nun die Spekulanten verurteilt werden. Klarerweise werfen Investoren in einem Spannungsfeld zwischen erdrückender Schuldenlast und politischem Zirkus maximus Papiere auf den Markt. Dass ein glaubwürdiger Sanierungskurs vor Attacken schützt, macht übrigens gerade Spanien vor. Aus Brüssel ist dank komplizierter Entscheidungsstrukturen keine rasche Lösung zu erwarten. Vielmehr hat das langwierige EU-"Krisenmanagement" für derartige Verunsicherung gesorgt, dass die Spannungen längst in der Realwirtschaft angekommen sind und großen Schaden anrichten werden. Ob eine Rezession auf die Eurozone zukommt, ist längst nicht mehr die Frage, sondern wie tief sie ausfallen wird.

Einen neuerlichen Flächenbrand kann de facto nur noch der Währungsfonds verhindern. Das Instrument hat er mit der Vorbeugenden Kreditlinie (Precautionary Credit Line; PCL) in Händen, die nur für Staaten mit einigermaßen funktionierenden Strukturen gedacht sind. Alles andere wäre nur wieder Verschwendung jener Zeit, die ohnehin niemand mehr hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.11.2011)