Rhys Ifans als der wahre Shakespeare, Edward de Vere.

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Wien - Auf der Bretterbühne des noch ganz neuen Globe Theatre spricht ein Schauspieler einen mitreißenden Monolog mit kaum verhohlenen Zeitbezügen. Die Menge, die schon im Vorfeld angeheizt wurde, ist bald nicht mehr zu halten und drängt hinaus auf die Straße. Die politische Intrige, welche diesen Aufruhr im Sinne eines potenziellen Thronfolgers hätte nutzen wollen, scheitert jedoch blutig. Der Beweis für die Macht der Worte ist dennoch eindrucksvoll erbracht.

Wir befinden uns im London jener Zeit, als sich die Regentschaft von Elisabeth I (1533-1603) ihrem Ende zuneigte und ein künftiger Dichterfürst namens William Shakespeare (1564-1616) Furore machte. Der deutsche Regisseur Roland Emmerich, der in Hollywood vor allem mit Science-Fiction-Spektakeln reüssierte, hat sich mit seinem aktuellen Film also auf ein ganz anderes Terrain begeben. Wobei er das spekulative Moment nicht aufgegeben, sondern eben einmal auf die Vergangenheit angewandt hat:

Anonymus bezieht sich nämlich auf jene Annahme, wonach die Werke des elisabethanischen Dramatikers, Dichters und Schauspielers William Shakespeare nicht von der historischen Person dieses Namens selbst verfasst worden seien. Eine seit rund hundert Jahren umgehende Verschwörungstheorie hält stattdessen einen adeligen Zeitgenossen, Edward de Vere, Earl of Oxford, für den tatsächlichen Autor.

Diese literaturwissenschaftlich grundsätzlich höchst umstrittene These nimmt der Film zum Ausgangspunkt für noch viel weiter reichende Enthüllungen, welche der jungfräulichen Tudor-Königin allerhand Liebschaften und uneheliche Kinder andichten. Joely Richardson spielt die junge Elisabeth, ihre Mutter Vanessa Redgrave verkörpert die alte Monarchin.

Verwirrende Wechsel

Aber die Handlung wird nicht nur durch den wiederholten Wechsel zwischen Lebensabschnitten verkompliziert - es dauert beispielsweise, bis man den verbitterten Edward (Rhys Ifans) mit seinem jüngeren, draufgängerischen, blondgelockten Selbst (Jamie Campbell Bower) in Verbindung gebracht hat. Vor allem geht zwischen all den Personen und Intrigen, zwischen all den Kostümen und Perücken auch ein wenig verloren, wo das Interesse des Films denn nun eigentlich liegt.

Bei Shakespeare (Rafe Spall) und seinen Dramatikerkollegen jedenfalls nicht; die paar Überlegungen zur politischen Sprengkraft ihrer Kunst bleiben schmückendes Beiwerk - so wie "das Volk" in der eingangs erwähnten Szene Kanonenfutter. Vor allem geht es in dem Prestigeprojekt um ein bisschen sexy aufgepeppte, höfische Ränkespiele, schreibt Anonymus (fiktive) Geschichte von oben. Das passt zum Klassendünkel derer, die den Shakespeare'schen Output nur einem Aristokraten zugestehen wollen.

Ein anderer Zeitgenosse des Stratfordianers inspiriert derweil im richtigen Leben ganz andere Anonymi: Guy Fawkes, der am 5. November 1605 einen Anschlag auf das britische Parlament plante, ist (über den Umweg von Alan Moores und David Lloyds V for Vendetta) zur Bannerfigur der Internetanarchisten von Anonymus avanciert. Heutzutage hat die Macht der Bilder die Worte abgelöst. (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe 9. November 2011)