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Nur rund jede zehnte Vergewaltigung wird zur Anzeige gebracht - und davon werden wiederum nur 13 Prozent gerichtlich verurteilt.

APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER

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Die meisten sexuellen Gewaltdelikte finden im sozialen Umfeld der Opfer statt

Foto: dapd/Clemens Bilan

Es ist hart, aber Realität: Ein Mann, der in Österreich eine Frau vergewaltigt, kann mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit damit rechnen, nicht gerichtlich verurteilt zu werden. Warum das so ist, und ob und wie man das ändern könnte, wurde auf einer von Frauennotruf und den Wiener Frauenhäusern organisierten Konferenz am vergangenen Freitag diskutiert.

Laut Schätzungen wird nur jede zehnte Tat zur Anzeige gebracht. Und von diesen angezeigten Vergewaltigungen werden wiederum nur 13 Prozent gerichtlich verurteilt. Vor zehn Jahren waren es noch 20 Prozent - die Wahrscheinlichkeit, mit einer Anzeige einen Schuldspruch zu erreichen, ist somit gesunken.

Beweise fehlen

Dass nur wenige Vergewaltigungen verurteilt werden, liegt zum Teil daran, dass in vielen Fällen erst gar nicht Anklage erhoben wird: StaatsanwältInnen dürfen nur jene Fälle, die auch Aussicht auf eine Verurteilung haben, überhaupt zur Anklage bringen. Gibt es keine Sachbeweise oder scheint die Zeugin nicht ausreichend glaubwürdig zu sein, dann landet der Fall nicht vor Gericht.

Genau hier liegt das Kernproblem: Wirklich starke Beweise gibt es fast nie. Einerseits können Spermaspuren nur bis zu 72 Stunden nach dem Vorfall für eine DNA-Auswertung aufgenommen werden - "und das ist nicht gerade der Zeitraum, wo Vergewaltigungsopfer sich in der Lage fühlen, zum Rechtsmediziner zu gehen", sagt Psychiaterin Julia Schellong vom Universitätsklinikum der TU Dresden.

Wurden DNA-Spuren gesichert, dann geben diese noch keinen Aufschluss darüber, ob der Geschlechtsverkehr erzwungen oder konsensuell war - zumal in den meisten Fällen der Täter aus dem sozialen Umfeld der Frau stammt. Selbst dann, wenn das Opfer Verletzungen davonträgt und diese ärztlich dokumentieren lässt, sei dies noch kein Garant für eine Verurteilung, sagt Barbara Michalek, Leiterin des 24-Stunden-Frauennotrufs in Wien: Immer wieder komme es vor, dass RichterInnen dann meinen: "Das war halt ein härterer Sex."

Widersprüche

Liegen also keine Beweise vor, welche die Aussage des Vergewaltigungsopfers stützen, dann steht und fällt alles mit der Glaubwürdigkeit ebendieser Aussage. Und "glaubwürdig" ist in der Praxis meist gleichbedeutend mit "widerspruchsfrei": Erzählt das Opfer vor Gericht bestimmte Vorkommnisse anders als in der polizeilichen Einvernahme, dann gerät häufig der gesamte Vergewaltigungsvorwurf in Zweifel. „Uns bleibt dann gar nichts anderes übrig, als das Verfahren einzustellen", sagt Ursula Kropiunig, Staatsanwältin in Wien. 

Viele Opfer können aber gar nicht anders, als sich in Widersprüche zu verwickeln. Das hat mit der schweren, nachhaltigen Traumatisierung zu tun, die eine Vergewaltigung meistens nach sich zieht. Diese Traumatisierung bewirkt, dass das Erlebte im Gedächtnis weit weggeschoben wird - bis es irgendwann nur noch verschwommen erinnert wird.

Je weiter Gerichtseinvernahme und Polizeigespräch auseinander liegen und je stärker die Traumatisierung ist, desto größer ist die Gefahr, dass die Betroffene widersprüchliche Darstellungen des Erlebten liefert. Selbst, wenn ein Richter oder eine Richterin den Erzählungen prinzipiell Glauben schenkt, bieten einander widersprechende Darstellungen des Vorfalls keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung. "Ich weiß, dass das vielen weh tut", sagt Roland Weber, Strafrichter am Wiener Landesgericht, der oft Sexualdelikte verhandelt. "Aber es ist meine Aufgabe, ein faires Verfahren zu gewährleisten - wir Richter sind keine Verurteilungsmaschinen."

Gewaltbeziehungen ohne Anklage

Für jene Frauen, die jahrelang oder jahrzehntelang in einer Gewaltbeziehung gelebt haben und sich erst bei der Scheidung trauen, über wiederkehrende Vergewaltigung durch den Partner zu sprechen, stehen die Chancen einer Verurteilung des Täters - und damit dem Zuspruch von Schmerzensgeld - besonders schlecht. "Solche Fälle klagen wir fast nie an", sagt Staatsanwältin Kropiunig. Erstens können vergangene Übergriffe nicht bewiesen werden; und zweitens ist die Tatsache, dass die Betroffene im Lauf der Jahre nie Anzeige erhoben hat, vielen StaatsanwältInnen und RichterInnen ein Hinweis auf mangelnde Glaubwürdigkeit des Opfers - und darauf, "dass die Frau sich nur einen Scheidungsgrund ausdenkt", so Weber.

"Wer sich mit Traumatisierung beschäftigt, weiß, dass die Frauen in Wahrheit aus Angst nicht zur Polizei gegangen sind", sagt Kropiunig. „Aber Staatsanwälte sind keine Psychologen." Und RichterInnen, die sich beim Einschätzen der Glaubwürdigkeit der Betroffenen gerne von fachkundigen PsychologInnen helfen lassen würden, dürfen dies nicht - "es widerspricht der OGH-Judikatur, Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen", sagt Kropiunig.

Opfer-VertreterInnen fordern deshalb verpflichtende Schulungen für RichterInnen und StaatsanwältInnen, damit diese die Wirkweise traumatischer Belastungsstörungen besser verstehen."Die Richterschaft hat sich bis jetzt gewehrt - sie sieht verpflichtende Schulungen als Eingriff in die Unabhängigkeit", sagt Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien. Das sei unverständlich, so Beclin: "Eine Weiterbildung ist ja keine Gehirnwäsche."

"Vergewaltigungsmythen"

Solche Schulungen könnten auch dazu beitragen, sogennannte "Vergewaltigungsmythen" zu entschärfen, sagt Psychologien Friederike Eyssel von der Uni Bielefeld. Zum Beispiel die Vorstellung, dass ein hoher Anteil der Vergewaltigungsvorwürfe nur erfunden sei, oder die Annahme, das Opfer habe die Tat ja "provoziert". Solche Mythen seien weit verbreitet, hätten aber mit der Realität nichts zu tun - laut Studien liegt die Anzahl an falschen Anschuldigungen bei höchstens vier Prozent.

Frauen, die eine erlittene Vergewaltigung anzeigen, leisten jedenfalls einen großen Beitrag zur Generalprävention: Dem überwiegenden Teil der Opfer ist der Täter namentlich bekannt. Selbst, wenn es nie zu einer Anklage kommt, so stehen für den Fall, dass der Mann zum Wiederholungstäter wird, die Chancen einer Verurteilung umso höher. (Maria Sterkl, derStandard.at, 6.11.2011)