Das ranghohe Mitglied der Hells Angels wurde in höchster Instanz freigesprochen.

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Am Morgen des 17. März 2010 erschoss ein führendes Mitglied des deutschen Motorradclubs "Hells Angels" vor seiner Wohnung in Anhausen (Rheinland-Pfalz) den Ermittler eines Sondereinsatzkommandos. Das Landgericht Koblenz verurteilte den 44-Jährigen vergangenen Herbst wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe revidierte nun das Urteil und sprach den Mann frei – er habe in Notwehr gehandelt, so der Richter am Donnerstag.

Das Bandenmitglied hatte in der Tatnacht Geräusche vor seinem Wohnhaus vernommen und ging mit einer Pistole in das Stiegenhaus. Vor der Eingangstür erkannte er nur undeutlich die Konturen zweier Männer beim Versuch, die teilverglaste Tür aufzubrechen.

Letale Verwechslung

Der Hells Angel rief sie erfolglos zum Rückzug auf; die Männer gaben sich allerdings nicht zu erkennen, woraufhin der 44-Jährige zwei Schüsse in ihre Richtung abfeuerte. Laut eigener Aussage hatte er angenommen, es handle sich um Angehörige des verfeindeten Clubs "Bandidos". Diese hatten wenig zuvor eine Todesdrohung gegen ihn ausgesprochen.

Einer der Eindringlinge, tatsächlich Beamte eines Sondereinsatzkommandos, starb an den Folgen eines Schusses – ein Projektil drang in den Armausschnitt seiner Panzerweste ein. Zwar hatten die Ermittler einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung des Mannes, versuchten aber, ihn und seine Verlobte im Schlaf zu überraschen.

BGH stützt Version des Angeklagten

Auch unter diesen Umständen hätte das Bandenmitglied nicht ohne Vorwarnung die tödliche Waffe einsetzen dürfen, entschied das Landgericht Koblenz in seinem ursprünglichen Urteil auf Totschlag.

Der 2. Strafsenat des BGH gab nun allerdings der Version des Angeklagten recht. Das hochrangige Bandenmitglied sei irrtümlich von einer Notwehrsituation ausgegangen und habe schließlich straflos gehandelt ("Putativnotwehr"). "Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, war dem Angeklagten daher nicht anzulasten", verlautbarte Deutschlands höchste Instanz in Strafsachen.

Die deutsche Polizeigewerkschaft kritisierte die Revision: "Dieses Urteil sendet ein schlimmes Signal an die Polizei und die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, unsere Polizistinnen und Polizisten fühlen sich einmal mehr zum Abschuss freigegeben", äußerte sich der Bundesvorsitzende Rainer Wendt in einer Stellungnahme: "Außer den Richtern versteht in Deutschland niemand dieses Urteil." (mm, derStandard.at, 4.11.2011)