Bekommt zurzeit öfters Anrufe von JournalistInnen: Student Robert Zahrl

Foto: derStandard.at/mas

Vor einem Jahr saß er im Gefängnis, weil er eine Verwaltungsstrafe nicht bezahlen konnte. Dort lernte er den Schubhäftling Ousmane C. kennen und freundete sich mit ihm an. Ohne jedes Wissen über Asylrecht und Fremdenpolizei setzte er sich für C.s Bleiberecht ein - und war vorerst erfolgreich. Wie sich dadurch sein Blick auf Asylpolitik verändert hat, erzählt er im derStandard.at-Interview.

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derStandard.at: Herr Zahrl, vor einem Jahr waren Sie ein Philosophiestudent mit eher durchschnittlich ausgeprägtem Interesse für Asyl-Themen. Heute Abend werden Sie wegen Ihres Einsatzes für Asylsuchende mit einem Zivilcourage-Preis ausgezeichnet. Wie das?

Robert Zahrl: Ich war schon immer politisch aufgeschlossen - aber hätte mir vorher jemand erzählt, wie es hier wirklich abläuft, hätte ich es nicht geglaubt. Das habe ich erst durch Ousmane C. erfahren. Ich glaube, dass die Menschen generell, und ich nehme mich da nicht aus, gerne wegschauen. Wenn einem gesagt wird, dass es rechtens abläuft, dann nimmt man das gerne an und hinterfragt es nicht so sehr. Weil es unangenehm ist. Weil man sonst eigene Meinungen hinterfragen muss. Und gerade das Asylthema hat ja viele Widersprüche, es gibt ja keine einfache Lösung. Ich kann nicht sagen, ich reiß' die Grenzen nieder. Und andererseits, wenn wir Nationalstaaten haben, dann haben wir natürlich auch Migration. Und wenn es Probleme auf der Welt gibt, dann gibt es Menschen, die weggehen und anderswo Asyl suchen. Aber natürlich ist es schöner, hier in Ruhe zu leben, und sich nicht ständig damit auseinanderzusetzen, was für schreckliche Erfahrungen Menschen anderswo auf der Welt machen, oder auch bei uns. Ich hätte nicht geglaubt, dass es solche Schikanen bei der Polizei gibt.

derStandard.at: Welche Schikanen meinen Sie?

Zahrl: Dass die Polizei willkürlich Menschen auf der Straße mitnimmt, sie in Schubhaft steckt, und erst, wenn jemand sich beschwert und sagt: "Das ist rechtswidrig!", kommen sie wieder raus. Aber wenn sich niemand beklagt, dann passiert gar nichts. Also probiert es die Polizei einfach einmal und kommt mitten in der Nacht in die Wohnung, reißt die Leute aus dem Bett, und steckt sie in Schubhaft. Vielleicht kommen sie wieder raus - aber ein paar Wochen später passiert wieder das Gleiche. Das ist einfach verrückt.

derStandard.at: Liegt es aus Ihrer Sicht daran, dass ein paar PolizistInnen das Gesetz falsch anwenden? Oder ist das Gesetz selbst kritikwürdig?

Zahrl: Das Gesetz selbst ist schlecht. Aus ihm ist der Generalverdacht herauszulesen, dass jemand, der herkommt, um Asyl ansucht, eh nur kommt, um uns zu belügen und auszunehmen. Es ist eine populistische Halblösung. Nach außen hin wirkt das Asylsystem ja sehr kontrolliert, man hat den Eindruck, dass die Beamten nach Richtlinien vorgehen, um festzustellen, ob jemand verfolgt wird oder nicht. In Wahrheit sind die Beamten geschult, bei den Asylsuchenden Widersprüche rauszuhören. Und sobald sie einen noch so kleinen Widerspruch haben, finden Sie ab sofort jede Aussage des Asylsuchenden irrelevant. Aber zu beweisen, dass man politisch verfolgt wird, ist denkbar schwer. 

derStandard.at: Die BeamtInnen und AsylrichterInnen, die über Ousmane C.s Anträge entschieden haben, hielten seine Geschichte für unglaubwürdig.

Zahrl: Keiner kann in diese Beamten reinschauen. Aber grundsätzlich sehe ich, dass Beamte viele Möglichkeiten nutzen, um die Asylzahl zu minimieren. 

derStandard.at: Zum Beispiel?

Zahrl: Es wird den Asylsuchenden eingeredet, dass es ihnen bei uns eh nicht gut gehen wird, dass sie eh keine Chance haben - mit dem Ziel, dass sie freiwillig wieder zurückgehen. Der Staat informiert sie nicht über ihre Rechte. Auch bei Ousmane war das so. Als ich ihn in der Haft kennengelernt habe, hat er nicht gewusst, was mit ihm passiert. Immer hat er gesagt: "Ich will mit einem Anwalt sprechen." Er hatte ja bislang nur mit Menschen zu tun, die an seiner Situation überhaupt nicht interessiert waren. Ich habe ihm in der Haft auch nicht weiterhelfen können - das einzige, was ich tun konnte, war, ihm zu versprechen, dass ich mich umhöre, wenn ich draußen bin.

derStandard.at: Hat sich Ihre Einstellung zu Politik durch diese Erlebnisse verändert?

Zahrl: Es gibt Menschen in der Politik, die viel Verantwortung haben, aber verantwortungslose Entscheidungen treffen, weil sie nur auf die nächste Wahl schauen. Der Zusammenhalt ist gefährdet, wenn Sie den Menschen, die zu uns kommen, zeigen, dass sie unerwünscht sind, dass sie keine Rechte haben. Nachher verlangt man von ihnen, dass sie sich integrieren und ein Gemeinschaftsgefühl haben - also ich könnte mich nicht mit einer Gruppe identifizieren, die alles tut, um mir zu schaden. 

derStandard.at: Sie verließen das Gefängnis mit zwei Problemen: Erstens wollten Sie Ousmane C. helfen. Zweitens hatten Sie keine Ahnung, wie. Was taten Sie als erstes?

Zahrl: Ich habe den Mann angerufen, der vor mir mit Ousmane in der Zelle war. Er war im Gefängnis, weil er nachts mit dem Fahrrad ohne Licht gefahren ist, und er hat damals Ousmane auch versprochen, dass er ihm helfen wird. Für mich war es wichtig, draußen mit jemandem in Kontakt zu sein, der weiß, wie es im Gefängnis ist. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich einfach in den Alltag zurückgedriftet und hätte nichts getan. Dieser Mann hatte die Telefonnummer von Asyl in Not, und dort habe ich dann angerufen.

derStandard.at: Erfolglos, wie sich herausstellte. Sind Sie enttäuscht von den NGOs? 

Zahrl: Nein, die haben ihr Möglichstes getan. Es war ja auch wirklich nicht realistisch, dass er hierbleiben kann. 

derStandard.at: Das war vor einem Jahr. Heute ist er noch immer hier. 

Zahrl: Ja. Ich glaube, es war ganz gut, dass ich nicht gewusst habe, wie man richtig vorgeht. Dass ich keine Erfahrung gehabt habe. Die NGOs hatten Erfahrung und sagten: "Das ist der Weg, und wenn es so nicht klappt, dann gibt es keinen anderen Weg." Ich habe ohne viel Erfahrung einfach alles probiert. Ich habe NGOs kontaktiert, habe auf Facebook herumgeschickt, was da los ist, Leute haben es weitergeschickt. So hat sich das langsam entwickelt. Und dann, in der kältesten Nacht des Jahres, haben circa 120 Leute in der ärgsten Kälte vor der Roßauer Lände gestanden und gegen seine Abschiebung protestiert.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich, dass 120 Individuen bei Eiseskälte für das Bleiberecht eines Menschen protestieren, den sie - im Gegensatz zu Ihnen - gar nicht kennen? 

Zahrl: Ich halte sehr viel von diesen Leuten. Ich bin ja eher durch Zufall da reingeraten, und diese Menschen machen viel mehr als ich. Dass sie sich dafür einsetzen, ist viel wert. Und es ist schlimm, dass man dafür kriminalisiert wird - wie die vier anderen, die mit mir den Ute Bock-Preis kriegen. Die wurden ja mitten in der Nacht von einem Sondereinsatzkommando abgeholt und wochenlang ohne Anklage eingesperrt, weil sie eine Abschiebung gefilmt haben. 

derStandard.at: Wie werden Sie das Preisgeld verwenden?

Zahrl: Vermutlich für die Kaution, die wir hinterlegen mussten, als Ousmane aus der Untersuchungshaft kam. Das waren 5000 Euro, und ein Unterstützer hat allein 4000 Euro ausgelegt. Ich will nicht, dass er darauf sitzen bleibt. 

derStandard.at: Hatten Sie jemals die Angst, dass Ousmanes Geschichte vielleicht gar nicht so stimmt, dass er die drohende Verfolgung nur vortäuscht?

Zahrl: Das ist eine grundlegende Frage: Verzichte ich darauf, Unterstützung zu geben, aus Angst, dass ich belogen werde? Soll ich deshalb gar nichts machen, oder gehe ich das Risiko ein, hie und da reinzufallen und dafür aber offen zu sein für Positives? Das war eine ganz starke Lehre für mich, dass es sich in diesem Fall verdammt stark ausgezahlt hat. Außerdem hätte ich Ousmane auch geholfen, wenn er nicht von Verfolgung bedroht gewesen wäre - es ist auch ohne Verfolgung nicht so leicht, in Guinea zu leben. (Maria Sterkl, derStandard.at, 3.11.2011)