Eine der bizarrsten Sehenswürdigkeiten unseres Landes befindet sich direkt an der Inntalautobahn zwischen Imst und Landeck. Das "Trofana Tyrol" ist eine Agip-Tankstelle mit Raststätte, in die man ein "Tiroler Erlebnisdorf" samt glasüberdachtem Marktplatz gebaut hat, was eine "großzügige Verbindung von Tradition und Moderne" darstellen soll. Mitten drin befindet sich der "Milser Stadl", eine Art Bauernbühne mit Plastik-Kukuruz-Dekoration, die laut Betreibern "ideal für Heimat- und unterhaltsame Kleinkunstabende" ist. Doch kommenden Sonntag steht eine in diesem Umfeld neuartige Gaudi am Programm. Unter dem Titel "Gründung des Agrargemeinschaftsverbandes Westösterreich" lädt die Plattform Agrar zur Anarchisten-Party des Jahres.

Nachdem ich in meiner vorigen Kolumne versucht habe, die Beschaffenheit des Austro-Korruptionssumpfes zu beschreiben, darf ich nicht vergessen, auf einen eigenen, in sich geschlossenen Neben-Sumpf hinzuweisen, der schon allein durch seine Größe beeindruckt: Über 2000 Quadratkilometer - fünfmal die Fläche von Wien. So viel Grundbesitz diverser Tiroler Gemeinden haben sich sogenannte "Agrargemeinschaften" seit den 1950er-Jahren einverleibt, die größte Vermögensverschiebung in der Geschichte der Zweiten Republik. Selbst bei bescheidensten Schätzungen der Grundstückspreise beträgt der Schaden für die Gemeinden mindestens drei Milliarden Euro. 2008 hat der Verfassungsgerichtshof unmissverständlich entschieden, dass die Aneignungen "offenkundig verfassungswidrig" waren, und die fidelen Landräuber aufgefordert, zumindest ihre Erträge aus Gemeindegütern an die Gemeinden abzuführen, da diese stets Eigentümer geblieben seien. Allein die ihnen längst zustehenden Summen aus den Substanzwerten liegen zwischen 30 und 50 Millionen Euro pro Jahr.

Doch was beim Kärntner Ortstafelkonflikt für bundesweite Empörung gesorgt hat - das komplette Ignorieren der Gesetzeslage -, wird von manchen Vertretern der "Agrargemeinschaften" (in denen rund ein Drittel der Mitglieder nicht einmal mehr einen landwirtschaftlichen Betrieb hat) auf die Spitze getrieben. Während die Gemeinden bis jetzt 1,2 Millionen Euro Anwaltskosten aufwenden mussten, um zu ihrem Recht zu kommen, verhöhnt die Plattform Agrar die auf Einhaltung der Gesetze Drängenden als "Kommunisten" - was angesichts der von einigen Plattform-Mitgliedern praktizierten Missachtung von Eigentum besonders skurril ist -, verlangt "Verjährung" und "Ersitzung", und droht mit "Kampfmaßnahmen".

Einem Dieb, der die Forderung nach Rückgabe von Teilen seiner Beute als "versuchte Enteignung" bezeichnet, kann man für diesen Chuzpe-Exzess ja noch Respekt zollen. Wenn aber die Plattform Agrar in einer offiziellen Stellungnahme Gemeindegut als "Krankheit" definiert, hört sich der Spaß langsam auf.

Doch vielleicht wird die zünftige Fete der Gesetzlosen am Sonntag ja wider Erwarten zum Abend der Selbsterkenntnis, denn auf ihrer Homepage meinen die Outlaw-Farmer jetzt schon: "In welchem anderen europäischen Staat wird die Rechtskultur derart mit Füßen getreten?"(DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2011)