Der Autor Juan Balboa Boneke liest aus seinem Werk.

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Pablo Rudich und Mischa G. Hendel diskutierte in Wien über ihren Film "Schreiben, um gelesen zu werden".

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Dokumentarfilmer Mischa G. Hendel und Klaus Winkler

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Das Amnesty StudentInnennetzwerk veranstaltete am 28. Oktober in Wien einen Filmabend, bei dem Kurzfilme zum Thema Menschenrechte und Meinungsfreiheit gezeigt wurden. daStandard.at sprach mit den Dokumentarfilmern Mischa G. Hendel und Pablo Rudich über ihren Dokumentarfilm "Schreiben, um gelesen zu werden", der sich mit dem Stellenwert von Literatur und Kultur im südsaharischen Staat Äquatorialguinea beschäftigt. Dieser kleine Staat ist der drittgrößte subsaharische Erdöllieferant und neben der Demokratischen Arabischen Republik Sahara der einzige afrikanische Staat, in dem Spanisch die Amtssprache ist. Trotz reichhaltiger Erdölvorkommen zählt Äquatorialguinea zu den ärmsten Ländern Afrikas, weil die daraus erzielten Einnahmen nicht breiten Bevölkerungsschichten zu Gute kommen.

Die Dokumentarfilmer Mischa G. Hendel und Pablo Rudich gehen der Frage nach, wie Literatur sich in einem Land entwickeln kann, in dem es keine Verlage und keine Buchhandlungen gibt. Im Film kommen drei Autoren zu Wort, einer von der älteren Generation, der seine Ausbildung in Spanien abgeschlossen hat, sowie zwei jüngere, die ihre literarischen Werke nur mit Hilfe westeuropäischer Verlage vertreiben können. Ihre Herangehensweise an die Literatur und die Erwartungen, die sie an ihr literarisches Schaffen knüpfen, sind sehr individuell, aber bis zu einem gewissen Grad auch von ihrer jeweiligen Generationszugehörigkeit bestimmt; gemeinsam ist ihnen jedoch allen der Wunsch, ihrem Land eine literarische Stimme zu verleihen, die stark genug wäre, auch ohne Förderungen aus dem früheren Kolonialland Spanien zu bestehen.

daStandard.at: In Filmen über afrikanische Länder dominieren Themen wie Politik, Armut und Korruption. Sie beschäftigen sich aber mit der Literatur. Wie kam es dazu?

Mischa G. Hendel: Zunächst muss man dazu sagen, Äquatorialguinea ist kein armes Land per se, sondern als drittgrößter Erdöllieferant eigentlich ein reiches Land. Aber wie das bei Schwellenländern oft der Fall ist, dringt das Geld nicht zu allen Bevölkerungsschichten durch. Zu Literatur habe ich einen persönlichen Zugang. In der Kindheit habe ich auch schon Bücher geliebt, und über mein Studium (der Afrikawissenschaften, Anm.d.Red.) wollte ich den Aspekt der Literatur weiterführen.

daStandard.at: Warum ausgerechnet Äquatorialguinea?

Hendel: Auf das Land bin ich über das Studium gekommen. Ich habe an meinem Institut eine Umfrage über Äquatorialguinea unter Kollegen durchgeführt, und es stellte sich heraus, dass niemand wusste, dass in Äquatorialguinea die Amtssprache Spanisch ist. Kaum jemand weiß überhaupt, dass es in Afrika ein Land gibt, in dem Spanisch gesprochen wird. Auch mir war das ursprünglich nicht geläufig. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mich dann ebenfalls mit der Literatur in Äquatorialguinea beschäftigt.

daStandard.at: Lässt sich Literatur getrennt von anderen Segmenten der Gesellschaft betrachten?

Hendel: Eben nicht. Eigentlich wollte ich einen reinen Literaturfilm machen, aber weil in Afrika auch die Literatur sehr politisch ist, sind wir in der Langversion des Films gar nicht weggekommen von der Politik, weil in Afrika die Literatur ohne Politik und Geschichte gar nicht denkbar ist. In Europa ist das ein bisschen anders.

Pablo Rudich: Für die Kurzversion des Films haben wir dann versucht, aus dem Filmmaterial das Thema Literatur zu extrahieren, wobei der politische Kontext trotzdem nicht wegzudenken ist.

daStandard.at: Wie sieht denn grob skizziert der politische Kontext aus?

Hendel: In puncto Meinungs- und Pressefreiheit schneidet Äquatorialguinea sehr schlecht ab. Es gibt zwar keine offizielle Zensurbehörde, aber das bestehende Umfeld ist nicht dazu angetan, literarisches Schaffen zu fördern. Es gibt keine Verlage, keine Buchhandlungen und keine staatlichen Subventionen. Die Literatur von Äquatorialguinea konnte bislang nur im spanischen Exil entstehen. In der eigenen Sprache, Fang, gibt es nur Ansätze von Literatur. Das Land wird in der Welt gar nicht wahrgenommen, außer durch die Erdöllieferungen, aber das sind dann rein wirtschaftliche Kontakte.

daStandard.at: Wie ist das Verhältnis zum ehemaligen Kolonialherrn Spanien?

Hendel: Selbst in Spanien ist Äquatorialguinea kaum bekannt, weil im Spanien der siebziger Jahre Äquatorialguinea zu einem Geheimnis, einem Tabu-Thema deklariert wurde. Es war verboten, in der Presse oder im Bildungswesen darüber zu sprechen. Das Tabu wurde später zwar aufgehoben, hängt dem Land aber immer noch nach, und es ist weit davon entfernt, literarisch wahrgenommen zu werden.

daStandard.at: Der ältere Autor im Film beklagt, "Man lässt uns hier nicht denken."

Hendel: Im Film haben wir zwei Generationen von Schriftstellern gegenübergestellt. Die Jungen, die seit den neunziger Jahren schreiben, haben eher einen l'art-pour-l'art-Zugang, während bei den Älteren die soziale und politische Komponente noch einen sehr hohen Stellenwert genießt. Wenn der ältere Schriftsteller sagt, sie lassen uns nicht schreiben, denken, intellektuell sein, dann meint er damit explizit Dinge wie Menschenrechte und freie Meinungsäußerung.

Rudich: In Äquatorialguinea ist die Situation anders als in den früher diktatorisch regierten Ländern in Südamerika oder etwa in der Sowjetunion. Dort konnte trotz Repressionen gute Literatur entstehen, weil man schon eine literarische Tradition hatte, aus der man auch im Untergrund schöpfen konnte, aus der heraus sich etwas Neues entwickeln konnte. In Äquatorialguinea hingegen konnte die Literatur als Kunstform gar nicht geboren werden, sie wurde schon bei der Geburt behindert, sozusagen.

Hendel: Wie gesagt, es fehlt das Ambiente für die Entwicklung der Literatur. Es gibt keine entsprechende Infrastruktur, und auch die Wahrnehmung ist nicht da, die Menschen haben andere Sorgen, sie müssen ihre Grundbedürfnisse befriedigen. (Mascha Dabić, 2. November 2011, daStandard.at)