Die Kassandras der Gemeinschaftswährung saßen schon immer auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Die anhaltende Eurokrise ist Wasser auf die Mühlen derjenigen Briten, die schon vor zehn Jahren vorausgesagt haben, dass eine Währungsunion ohne eine fiskalische und politische Union scheitern muss.

Auch der in der letzten Woche erreichte Brüsseler Deal zur Eurorettung ist für die Skeptiker im Königreich nur ein Notnagel: Die Eurozone habe etwas Zeit gekauft, heißt es allerorten, aber die zugrundeliegenden Probleme nicht gelöst. "Europa", prophezeite düster der konservative Abgeordnete Bill Cash, "springt mit beiden Beinen in ein politisches Desaster und ein wirtschaftliches schwarzes Loch."

Die einen sind erleichtert, dass das Land der Gemeinschaftswährung nie beigetreten ist und daher seit Beginn der Wirtschaftskrise das Pfund um rund 25 Prozent gegenüber dem Euro abwerten konnte. Eine gehörige Portion Schadenfreude schwingt allerdings bei jenen mit, die schon immer dem Projekt der europäischen Integration misstraut haben. 81 konservative Abgeordnete haben kürzlich gegen ihren Premierminister David Cameron rebelliert und versucht, ein Referendum über den britischen Verbleib in der EU herbeizuzwingen. Tatsächlich ist der Dissens innerhalb der konservativen Fraktion noch größer: Rund die Hälfte aller Abgeordneten würden einen britischen EU-Austritt begrüßen.

Ökonomischer Selbstmord

Die politische Führung hat es schwer, gegen die aufgeflammte Anti-Europa-Stimmung mit Vernunftgründen zu argumentieren. Wütende Breitseiten von rechtskonservativen Kommentatoren gab es für den Vizepremier und liberaldemokratischen Koalitionspartner Nick Clegg, als der am Wochenende erklärte, dass ein britischer Rückzug "ökonomischen Selbstmord" bedeute. Aber auch Premierminister Cameron unterstreicht, dass eine Lösung der Eurokrise "eindeutig in Großbritanniens nationalem Interesse" liegt. Er empfiehlt den EU-Partnern eine typisch britische Medizin: den Schuldenberg abtragen, die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften stärken und die globalen Märkte öffnen.

Cameron sieht mit Sorge, dass sich ein zweigleisiges Europa zu entwickeln beginnt. Schon beim Brüsseler Gipfel musste er nach dem ersten Aperitif den Sitzungssaal verlassen, während drinnen die Regierungschefs der Eurozone beim Abendessen den Deal beschlossen.

Mit dem neuen EU-Rettungsschirm wird die Trennung zwischen den 17 "Ins" und den zehn "Outs" noch mehr festgeschrieben. Wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen werden getroffen, ohne dass Großbritannien oder die anderen Nicht-Euro-Länder mit am Tisch sitzen. Cameron hat deshalb schon bei seinen schwedischen, dänischen und polnischen Amtskollegen sondiert, ob eine gemeinsame Opposition gegen manche wirtschaftspolitische Initiativen möglich wäre.

Vizepremier Nick Clegg hält allerdings nichts davon. Stattdessen, argumentiert er, solle Großbritannien als wirtschaftsliberaler Bannerträger Allianzen innerhalb der Eurozone suchen.

Was nun also, Konfrontation oder Kooperation? Noch hält Premier David Cameron seine Karten eng an der Brust. Seine eigene Partei verlangt von ihm, bei kommenden Vertragsverhandlungen staatliche Machtbefugnisse aus Brüssel zurückzuholen. Auch der Druck aus der Eurozone wird größer werden, wenn zum Beispiel über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer verhandelt wird, die besonders die Londoner City trifft. (Jochen Wittmann aus London, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2011)