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Bedrohlicher Kreislauf: Der immer noch wachsende Treibhausgas-Ausstoß lässt die Erdwärme steigen, das Schmelzen des Arktiseises führt zur drastischen Erhöhung des Meeresspiegels und folgenschweren Überschwemmungen.

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Christ: "20 Prozent der Weltbevölkerung sind für 46 Prozent der Emissionen verantwortlich."

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STANDARD: Mit dem Kioto-Klimaprotokoll, das 2012 ausläuft, sollte es eigentlich zu einer Stabilisierung oder gar Reduzierung des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes kommen. Das ist nicht passiert. Wie weitertun?

Renate Christ: Ja, der Treibhausgas-Ausstoß ist nicht zurückgegangen. Um eine Stabilisierung der atmosphärischen Konzentration von Treibhausgasen zu erreichen - und damit eine Stabilisierung des Klimas -, müssten die Treibhausgase drastisch zurückgefahren werden. Das heißt, die Nutzung fossiler Energien sollte reduziert werden. Nach unseren Berechnungen sollte der Höchststand der globalen Emissionen bis 2015 erreicht sein und dann zurückgehen. Nur dann kann man das Ziel, dass der Temperaturanstieg nicht über zwei Grad geht - gemessen an vorindustriellen Werten - erreichen. Wir sind aber schon bei 1,2 Grad Erhöhung.

STANDARD: Ist das nicht illusorisch?

Christ: Nun, wir haben auch ausgerechnet, was wäre, wenn man nicht entsprechend reagiert. Während die Kosten, die sich aus einem schnellen Ausschöpfen aller Treibhausgas-Reduktionspotenziale ergeben, sich in kurzer Zeit amortisieren, sind die Kosten und Unsicherheiten enorm, die aus einem Nicht-Handeln resultieren. Viele Untersuchungen haben in der Vergangenheit belegt, wie stark die Veränderungen wären, wenn nichts passiert. Eine davon wäre zum Beispiel die drastische Erhöhung des Meeresspiegels.

STANDARD: Und trotzdem tut sich nichts im Vorfeld zur nächsten Weltklimakonferenz, die schon Ende November in Durban ist.

Christ: Die Aufgabe des Klimarates IPCC ist, auf wissenschaftliche Tatsachen und Konsequenzen hinzuweisen. Darauf beschränke ich mich. Ich verstehe schon, dass das alles politisch schwer zu verhandeln ist. Aber die Atmosphäre schert sich nicht darum. Wir haben nur mehr bis zum Jahr 2015, dann sollten die globalen Emissionen den Höchststand erreicht haben. Danach sollten die Emissionen zurückgehen - und zwar bei den Industrieländern ebenso wie bei den Entwicklungsländern. Es ist bekannt, dass Treibhausgase, die man in die Atmosphäre pumpt, dort eine lange Verweildauer haben. Die Trägheit des Systems lässt da keine andere Wahl.

STANDARD: Was ist, wenn es zu keinem Nachfolgeabkommen kommt?

Christ: Es muss in Durban die historische Verantwortung der Industrieländer mehr wahrgenommen werden. Die Industrieländer stoßen noch immer mehr Treibhausgase aus als Entwicklungsländer. 20 Prozent der Weltbevölkerung sind für 46,47 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das heißt, es ist wichtig, dass die Industrieländer eine Vertrauensbasis schaffen, zeigen, dass sie zu drastischen Emissionsminderungen bereit sind. Im Mai haben wir einen Bericht über erneuerbare Energien herausgebracht. Was sich da getan hat, ist enorm! Es passierte sehr viel, auch in Entwicklungsländern. Es sollte eigentlich im Interesse von Industrien und Forschungsstellen sein, dass im Bereich erneuerbarer Energien und Energieeffizienz viel weitergeht.

STANDARD: Aber die Industrieländer alleine können das Klimaproblem gar nicht lösen.

Christ: Das ist richtig. Das Wirtschaftswachstum liegt in den Schwellenländern, und damit gibt es dort immer mehr Energieverbrauch und damit Treibhausgase. Das ändert aber nichts daran, dass die Industrieländer für die Vergangenheit hauptverantwortlich sind und außerdem noch immer den höchsten fossilen Energieoutput pro Kopf haben. Da muss man ansetzen.

STANDARD: Ist ein Klimaabkommen überhaupt nötig? Ein Umbau des Energiesystems vollzieht sich doch auch so.

Christ: Eine globale Konvention wäre aber sehr wichtig, da sie den Rahmen für finanzielle Unterstützungen für die Entwicklungsländer bieten könnte: Technologietransfer im Bereich erneuerbarer Energien oder zur Vermeidung fossiler Energien. Alles, was einen Multiplikatoreffekt entwickeln könnte. Wenn man jetzt resigniert, verliert man nur die Zeit, die gebraucht wird, um Maßnahmen zu planen und in die entsprechende Infrastruktur zu investieren. Es braucht eine gewaltige Anstrengung, um bis 2050 zwischen 80 und 90 Prozent der Treibhausgasemissionen zu reduzieren und damit eine langfristige Stabilisierung des Klimas zu erreichen.

STANDARD: Was sagen Sie zu den Skandalen, die es immer wieder rund um IPCC-Reports gab, in denen es zu falschen oder ungenauen Aussagen kam?

Christ: Unsere Berichte stammen von Wissenschaftern, die freiwillig für uns arbeiten. Und die kriegen nicht viel Geld dafür: Wissenschafter aus den Entwicklungsländern bekommen bei Dienstreisen nur Hotel- und Flugkosten. Es gibt natürlich zu den Berichten Überprüfungen, und wir versuchen, die Berichte so robust wie möglich zu machen. Aber bei 3000 Seiten können halt Fehler passieren; wir sind nur Menschen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2011)