"Wenn einer nicht weiß, was der Unterschied zwischen Kilo- und Dekagramm ist, wird es schwierig", sagt Robert Neugebauer (Mitte) - im Bild mit zwei seiner Mitarbeiter.

Foto: derStandard.at/Radatz

"Tag der Lehre", "Kümmer-Nummer", Messe "Jugend & Beruf": neue und bewährte Initiativen in Sachen Berufsorientierung für junge Leute rühren die Werbetrommel für die Lehre. Im November 2010 wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend ein Arbeitsprozess in Gang gesetzt, der bis zum Frühjahr 2012 ein Maßnahmenpaket für die Weiterentwicklung der Lehrlingsausbildung liefern soll. Das Spektrum reicht von Ausbilderqualifikation bis zu einer besseren Durchlässigkeit im (Aus-)Bildungssystem. Bis zum Ende dieses Jahres sollen Zeitplan und Umsetzungsmöglichkeiten feststehen. Jüngst startete die Stadt Wien eine groß angelegte Kampagne, die jene Empfehlungen aufgreift, die im Bericht zur Situation der Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung in Österreich zu finden sind: vor allem bessere Information und niederschwellige Beratungsangebote.

Wiener Kümmer-Nummer

Die Wiener Ausbildungsgarantie hat zum Ziel, dass jede/r Jugendliche eine Ausbildung über die Pflichtschule hinaus hat. Die "Kümmer-Nummer" soll dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Klaus Kienesberger vom Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfond betont: "Die Arbeitslosenstatistik zeigt ja deutlich, wo das Problem liegt: 50 Prozent der Arbeitslosen sind Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung". Daher gehe es darum, "jene Jugendlichen zu erreichen, die nicht wissen, was sie nach der Schule tun sollen." Die "Kümmer-Nummer" spricht eine Zielgruppe von rund 7000 Personen an: Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, SchulabbrecherInnen und SchulabgängerInnen, die keine Ahnung haben, wie es weiter gehen soll. "Diese Leute erreichen wir auch sehr gut", so Kienesberger. Das Angebot ist anonym, die Webseite ist niederschwellig angelegt und informiert Eltern auch auf Türkisch und Serbisch.

FacharbeiterInnen sind gefragt

Optimistisch äußert sich Robert Neugebauer, der selbst eine Lehre absolviert hat. Der Fleischermeister ist Filialleiter und Lehrlingsausbilder der Firma Radatz in Wien. "Motivierte und engagierte Leute werden mehr denn je gesucht. Da gibt es realistische Aufstiegschancen", so Neugebauer. Allerdings sieht er auch Probleme, wie er im Gespräch mit derStandard.at ausführt: "Leider bringen die jungen Leute oft sehr wenig mit. Wenn einer nicht weiß, was der Unterschied zwischen Kilo- und Dekagramm ist, wird es schwierig." Zudem gäbe es oft auch Probleme in der Familie. Viele Eltern würden sich gar nicht dafür interessieren, wenn die Leistung in der Berufsschule nachlässt. Die Firma Radatz setze daher unter anderem auf Lehrlings-PatInnen: "Jeder Lehrling hat in seiner Filiale einen Paten oder eine Patin, die Ansprechperson für Sorgen und Probleme ist", erklärt Neugebauer das dahinter stehende Prinzip.

Karriere - aber wie?

Auf die Frage, wie es ihm selbst gelungen ist, im Beruf erfolgreich zu sein und die Karriereleiter hinauf zu klettern, antwortet Robert Neugebauer: "Der Wille zählt. Ich wollte etwas werden und wusste früh, dass ich einmal eine Filiale leiten will." Um dieses Ziel zu erreichen, absolvierte er nach dem Lehrabschluss und der Meisterprüfung eine Vielzahl an Fort- und Weiterbildungen. Neben einer Trainer-Ausbildung hat er auch die Lehrberechtigung und als Filialleiter ca. 15 Personen in seinem direkten Verantwortungsbereich. 

Seine Ausbildung hat er in einem Familienbetrieb absolviert, wo er sich ein breites Fachwissen aneignen konnte. Künftigen Lehrlingen würde er heute dennoch eher eine "gut aufgestellte, größere Firma" empfehlen: Die Chance, gefördert zu werden, sei dort besser.

"Durststrecken überwinden"

Während der Lehrzeit hätten Lehrlinge "einige Durststrecken zu überwinden". Gerade das erste Jahr sei für viele nicht leicht. "Da fühlen sich manche überfordert. Wenn Geldsorgen dazu kommen, kann das ein Ausstiegsgrund sein", so der Fleischermeister.

Wirft man einen Blick auf die Entlohnung, vermag es nicht weiter zu verwundern, dass Lehrlinge von Geldsorgen geplagt werden: Im Schnitt verdienen Lehrlinge im ersten Lehrjahr zwischen 450 und 500 Euro. Neugebauer ist der Meinung, dass Lehrlinge besser bezahlt werden sollten: "Der Unterschied zwischen Lehrlingsgehalt und Arbeitslosengeld sollte größer sein. Ein besseres Einkommen fördert die Motivation." Gerade das erste Jahr sei für viele nicht leicht. "Da fühlen sich manche überfordert. Wenn Geldsorgen dazu kommen, kann das ein Ausstiegsgrund sein", so der Fleischermeister.

Worauf es ankommt

Wie gelingt sie nun, die Karriere mit Lehre? "Das Interesse am Beruf ist entscheidend, aber auch, ob man die nötigen Fähigkeiten dazu mitbringt", betont Robert Neugebauer und ergänzt: "Natürlich muss man sich Ziele setzen".

Dass auch der Arbeitsmarkt und dessen Bedürfnisse eine Rolle spielen, versteht sich von selbst, ist doch die Arbeitsmarktsituation nicht in allen Branchen gleichermaßen angespannt. Während InteressentInnen für den EDV- und Elektronik-Bereich mit Schwierigkeiten rechnen müssen, sind die Aussichten etwa für PflegehelferInnen sehr gut. Generell gilt: Sprachkenntnisse, Mobilität, zusätzliche Skills und Ausbildungen machen den entscheidenden Unterschied. Für die meisten der derzeit rund 40.000 arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren gibt es aber wohl klare Prioritäten: zuerst der Job und dann - vielleicht - die Karriere. (Meri Disoski, derStandard.at, 1. November 2011)