Sandra Reichl bloggt für derStandard.at/Etat aus Stockholm. Sie studiert derzeit auf Hyper Island.

Foto: Sandra Reichl

Hyper Island bedeutet Arbeit mit Kreativen aus aller Welt. Foto: Per Snare

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Hyper Island verlässt man als Problem-Löser und Dienstleister. Foto: Per Snare

Foto: Per Snare

Ein weiterer Monat auf Hyper Island in Stockholm ist vergangen und ich möchte diesen Beitrag mit einem Zitat eines Posters beginnen. Als Kommentar zu meinem letzten Blog-Eintrag schrieb "Sprachinstitut Cunnilingus":

"willkommen auf hyper island!
hier wirst du für eine zukunft vorbereitet, die du voll und ganz der bereicherung deiner arbeitgeber widmest
hier lernst du, warum ein job in der werbung spannend und sinnvoll ist und nichts anderes bedeutung hat
vergiss familie, gesundheit oder freizeit: auf hyper island zeigen wir dir, wie du dein ungelebtes leben kompensieren kannst durch shoppen, sex und drogen"

Dieser Post bekam die höchste Gesamtbewertung – sieben Mal brillant. Das gab mir zu denken und ich möchte die Gelegenheit nutzen, die letzten Wochen inspiriert von diesem Beitrag zu dokumentieren.

Vergangenen Freitag hatten wir unsere bisher größte Kunden-Präsentation. Nach einem fünfwöchigen Modul präsentierten meine vier Teamkollegen und ich vor der Geschäftsführung von "Fastighetsägarna", der größten Organisation Schwedens für Immobilienbesitz. Resultat: Eine begeisterte Geschäftsleitung, eine Einladung zum Abendessen mit dem CEO, um zu besprechen, wie wir das Projekt in die Realität umsetzen, und ein Projekt für mein Portfolio auf das ich sehr stolz bin.

Planung, Timing und Vertrauen

Und das Beste daran – all das ohne eine einzige Überstunde, mit einer täglichen Mittagspause von mindestens 60 Minuten und viel Spaß mit vier genialen Kreativen aus aller Herren Länder. Hier ein Dankeschön an Luis aus Portugal, Darcie aus Irland, Vesa aus Finnland und Henrik aus Schweden! Erstaunlich, wie weit man mit guter Planung, Timing und Vertrauen kommt.

Nicht dass das etwas Neues für mich wäre, nach zwei Jahren bei gantnerunenzi, in denen ich meine Überstunden an einer Hand abzählen kann. Dennoch erstaunlich, dass manche Kreative (und Poster) noch immer in der veralteten Realität leben, in der man anscheinend nur gute Präsentationen abliefern kann, wenn man die Schlafenszeit auf vier Stunden pro Tag reduziert.

Kontakt zum Kunden

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass Hyper Island von seinen Studenten erwartet, dass sie neben dem Generieren von Ideen und der Umsetzung dazu fähig sind, wöchentliche Jours Fixes mit dem Kunden abzuhalten, um am Ende die gemeinsam generierte Arbeit zu präsentieren. Der direkte Kontakt zum Kunden wird forciert, da man auf Hyper Island fest daran glaubt, dass so die besten Ideen entstehen und Probleme am effizientesten gelöst werden können. Wie in meinem letzten Beitrag schon erwähnt, verschwimmen die Grenzen der traditionellen Agentur-Rollenbilder hier voll und ganz. Nach zwölf Wochen in Stockholm ist nach wie vor noch kein einziges mal das Wort "Kundenberater" gefallen.

Hyper-Island-Absolventen sind Problem-Löser

Selten fällt auch das Wort "Werbung" und nur wenige Studenten wollen nach Hyper Island in der klassischen Werbung arbeiten. Interessant finde ich also den Gedanken von Poster "Sprachinstitut Cunnilingus" der voraussetzt, dass jeder "Art Director" einen Job in der Werbung anstrebt. Die meisten Absolventen eröffnen ihre eigenen Studios, arbeiten weltweit als Freelancer oder in Agenturen, die fern ab von klassischen Werbeagenturen und deren Hierarchien sind. Die Kreativen die Hyper Island verlassen, sehen sich viel mehr als Problem-Löser und Dienstleister. Agenturmodelle und Menschen, die hier Vorträge halten wie Zach Klein (Gründer von Vimeo), Made by Many (UK) oder Snook (Schottland) beweisen, dass es mehr als Print, Radio und TV gibt und dass es schon lange nicht mehr um reines Verkaufen geht, sondern um das Kreieren von Erlebniswelten, Erfahrungen und Service – all das Plattform-unabhängig.

Lunch Beat – eine der genialsten Erfindungen Schwedens

Also ja, wir werden auf die Zukunft vorbereitet. Auf eine sehr inspirierte und angenehme Art. Und da wir jeden Arbeitstag um 18 Uhr beenden, haben wir viel Zeit, um Stockholm zu erkunden – ja ich gebe zu, das ist oftmals verbunden mit Alkohol – vielmehr aber mit Konzerten, gemeinsamen Kochen und Lunch Beat (lunchbeat.org). Eine der genialsten Erfindungen Schwedens, die definitiv exportiert gehört.

Also, lieber Poster "Sprachinstitut Cunnilingus", mein Leben hier ins Stockholm fühlt sich ganz und gar nicht ungelebt an – ganz im Gegenteil. Auch wenn ich Familie und Freunde oft sehr vermisse, möchte ich keine Minute hier missen.

Med vänliga hälsningar, Sandra Reichl