Bevor wir uns einem der Höhepunkte der diesjährigen Viennale widmen, fasse ich noch eine kleine Geschichte der Misserfolge zusammen. Zwei weitere Filme, die ich nicht sehen konnte: Barzakh, die Doku über die tschetschenischen Foltergefängnisse, und Miss Baala. Der Versuch, mir Miss Baala auf DVD anzueignen, führte mich übrigens auf Abwege. Den Film hatte ich mir im Programm bereits dick unterstrichen, wurde aber justament an dem Tag bei Literatur im Nebel erwartet. Ein Freund erbarmte sich. Am nächsten Tag erzählte er mir leicht grünlich um die Nase, dass der illegale Download ihn direkt auf eine Islamistenseite geführt hätte. Er hoffe, er stünde jetzt auf keiner Liste einer der beteiligten Seiten.

Das schürt mein Interesse an dem Film umso mehr und bestätigt, dass eigentlich alles mit allem verbunden ist. Das wiederum ist eine der Theorien von Jung, die ihn gravierend von Freud unterschied, und eine der Auffassungen, die zu dem schmerzhaften Bruch und der endgültigen Trennung ihrer Denkschulen führte. David Cronenberg, der in Naked Lunch das hervorbrechende Unbewusste thematisiert, wendet sich in A Dangerous Method dem logisch durchdachten Ordnen des inneren Kräftespiels zwischen Lebenstrieb und Todeswunsch zu.

Er, der sich an das nicht gerade vermarktungstechnisch risikoarme Thema Gesprächstherapie wagte, beschreibt seine Zuneigung zum Producer Jeremy Thomas bei der Diskussion im Gartenbaukino folgenderweise: "Ich wusste, ich würde einen tapferen Produzenten brauchen. Der Film enthält alles, was in Amerika nicht funktioniert: ein Kostümdrama, einen intellektuellen Plot, keine Morde." Jeremy Thomas ist deutlich geerdeter, auf die Frage, was denn für ihn einen unabhängigen Produzenten ausmache, antwortet er erst einmal so: "Ich habe gerade vorher einen köstlichen Tafelspitz gegessen, der mich verlangsamt." Später verrät er noch, dass er, während seine Exkollegen den Schulabschluss machten, bereits die ersten Filme drehte - und beweist, dass es sich lohnt, die Schule abzubrechen, jedenfalls wenn man Jeremy Thomas heißt.

Obwohl der Film über weite Strecken tatsächlich nur aus Gesprächen besteht, wird er niemals langatmig. Die Gespräche zwischen Arzt und Patientin stellen genau jene Mischung aus Umgarnen und Abhängigkeit, aus der Lust, Grenzen zu überschreiten, und aus der Angst, das fragile Gefüge zu verlieren, dar, die mich zur Herznovelle inspirierte. Aus der schwerkranken jungen Frau wird die Geliebte Jungs, später die Muse beider, dann eine fachlich versierte Analytikerin.

Was aus der Hoffnung Freuds wird, in Jung seinen ersehnten Kronprinzen gefunden zu haben, ist hinlänglich bekannt, die Annäherung und die langsame Entfernung der beiden bildet die Leinwand, auf der die Geschichte der Psychoanalyse in gedeckten Farben aufgetragen wird: niemals zu dick. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt mir bei der Besetzung Freuds: Viggo Mortensen scheint ab und zu immer noch zur Mimik Aragorns zu tendieren. Sobald ich den Saal verließ und in der Menge vor dem Kino stand, vernahm ich auf der Straße die Stimme des Volkes, und die Stimme des Volkes bewies erstklassigen Widerstand und erhob sich und sagte: "Psychoanalyse - na, des wü i net." (Julya Rabinowich, DER STANDARD - Printausgabe, 31. Oktober/1. November 2011)