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Daniel Sträßer (als Romeo) und Yohanna Schwertfeger (als seine Julia).

Foto: Reuters/Prammer

Wien - Indem das Gefühl der Liebe selbst verstockte Menschen gelegentlich anwandelt, ist es im besten Sinne demokratisch: Es gehört den Oberen wie den Unteren, den Armen wie den Reichen, den gestandenen Theatermachern wie den völlig unbedarften. Unbedarftheit möchte man Regisseur David Bösch nicht unbedingt vorwerfen: Shakespeares Romeo und Julia hat er bereits vor sieben Jahren in Bochum inszeniert.

In Wien, wo er die Burgtheaterbühne mit bleigrauen Platten zugebaut hat (Ausstattung: Volker Hintermeier), ergeht sich der für das öffentliche Wohl in Verona zuständige Prinz (Franz J. Csencsits) in melancholischen Betrachtungen, während er das Taschentuch knüllt. Auch alternde Herrscher sind nichts als Liebende. Wie aber ist es um die Veroneser Jugend bestellt: um die rivalisierenden Clans der Montagues und Capulets, aus deren Schößen Romeo und Julia, ohne es zu wollen, entsprossen sind? Der blonde Romeo (Daniel Sträßer) liebt ganz unsäglich. Er weiß nur noch nicht mit Bestimmtheit, ob seine Gunst Rosalind gehört oder irgendeiner anderen - Julia hat er zu diesem Zeitpunkt noch nicht getroffen.

Mit den Freunden aus seiner Clique spielt er Schnick-Schnack-Schnuck. Diese schiefergrauen Rabauken scheinen nicht so sehr erotische Literatur zu konsumieren als Jackass: "Are you ready for Rock 'n' Roll" , brüllt der kahle Kumpel Benvolio (André Meyer), und man registriert beruhigt, dass die Heranwachsenden in Verona kulturellen Anschluss an die Weltjugend gefunden haben. Zu den unschuldigen Freizeitvergnügungen gehört ausgerechnet das Degenfechten: Den verfeindeten Capulet namens Tybalt (Daniel Jesch) reizt man schon allein deshalb bis aufs Blut, weil er stottert.

Tatsächlich scheint es das zu geben: eine Inszenierung von Romeo und Julia ohne besondere Vorkommnisse. Wenn Romeo seiner Julia (Yohanna Schwertfeger) buchstäblich über den Weg läuft, blendet Bösch, der offenbar über eine durchschnittlich sortierte Plattensammlung verfügt, ein Liedchen der Band Notwist ein. Julia haucht das Bürschchen an, ein Blick gibt den anderen, schon ist man einander von Herzen zugetan. Gelegentlich verströmt die Produktion mit ihrem berufsjugendlichen Furor die Atmosphäre einer Clerasil-Werbung.

Verwester Charme

Andererseits besteht die Welt der Erwachsenen aus bitterbösen Karikaturen: Der kahle Capulet (Ignaz Kirchner) besitzt den verwesten Charme eines Kabinettleiters von Kuriositäten. Seine Gemahlin (Petra Morzé) steuert derweil stocktrunken in die finsterste Beziehungsohnmacht hinüber. Böschs Entscheidung, für die Wahrnehmungsweise verliebter Kinder zu votieren, zeitigt nur wenige interessante Ergebnisse. Die Erkenntnis, dass Liebe die menschliche Vernunft zu fatalen Aussetzern provozieren kann, steht ihm eher nicht zu Gebote.

Immerhin hat ein gütiges Geschick den erotischen ABC-Schützen einen (wenn auch verderbten) Wohlstand beschert: Julias Balkon ist einem todschicken Glaskubus gewichen, der auf- und niedersaust, während rundherum Leuchtstoffröhren unheimeliges Licht aussenden. Ein Brunnen lädt die Verliebten zum Planschen ein. Die Fechtszenen sind mustergültig choreografiert: Der Tod des Mercutio (Fabian Krüger) gehört zu den Höhepunkten, auch da Krüger den zotigen Charme der Thomas-Brasch-Übersetzung mit ihren vielen Endreimen in sprachliche Balance-Akte übersetzt. Hier kämpft einer schnodderig um sein kleines Leben.

Ähnliches gilt für die famos warmherzige Amme Brigitta Furglers, in deren Botengängen die ganze Blüte eines rettungslos verlorenen Liebeslebens spürbar wird. Und im Nu steht mehr auf dem Spiel als bloß ein Kommentar über die gewiss sehr dringlichen Nöte der Spätpubertät. Von der Manier der Protagonisten, hinter jede Bekundung ein Ausrufzeichen zu setzen, zu schweigen. Das Publikum hatte sich in die Schauspieler ein bisschen verliebt, in den Regisseur eher gar nicht: Bösch erntete für seine insgesamt wenig erhellende Bemühung eine Menge Buhrufe. Es gibt keine größere Liebesenttäuschung als die des Publikums, das sich um einen den herrlichsten Stoffe der Weltliteratur geprellt sieht. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 31. 10. 2011)