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Bundesregierung auf Klausur im Frühjahr am Semmering: Spielräume im einstelligen Prozentbereich.

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Ökonom Haber: "Vieles, was im Rechnungsabschluss Ermessensausgabe heißt, ist politisch nicht im Ermessen der Minister. Die wirklich gestaltbaren Spielräume werden kleiner."

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Wien - Wie viel Spielraum hat ein Minister überhaupt? Oder flapsiger gefragt: Wie viel Politik macht ein österreichisches Regierungsmitglied im Jahre 2011 eigentlich noch? Folgt man der Budgetrede Maria Fekters, der wir die originäre Erkenntnis verdanken, dass das Budget die "in Zahlen gegossene Politik ist", muss man dafür eigentlich bloß herausfinden, wie viel Geld ein Minister zur Verfügung hat. Leider ist das etwas kompliziert.

Der Rechnungshof veröffentlicht zwar jedes Jahr den sogenannten Bundesrechnungsabschluss - ein Zeugnis penibler Prüfungsarbeit, das so viele hundert Seiten füllt, dass es in zwei Bänden herausgegeben werden muss. Dennoch: "Man kriegt die realen Werte nicht so einfach", sagt Gottfried Haber, Volkswirtschaftsprofessor an der Uni Klagenfurt. "Im Bundesrechnungsabschluss findet man Pflicht- und Ermessensausgaben, aber die sind nicht wirklich Manövriermasse. 'Ermessensausgabe' heißt nicht, dass diese Ausgabe politisch freiwillig getätigt wird."

Fixe Personalkosten

Der tatsächliche politische Gestaltungsspielraum ist quer durch alle Ressorts gering. Besonders gilt das für personalintensive Ministerien wie Unterricht, Inneres oder Justiz. "Die Starrheit des Bundeshaushaltes ist sehr hoch", bestätigt auch Gerhard Steger, Chef der Budgetsektion im Finanzministerium. "Das heißt, ein sehr hoher Anteil der Ausgaben ist entweder gesetzlich vorgegeben oder zwar formal eine Ermessensausgabe, aber trotzdem nicht gestaltbar."

Nimmt man etwa das Innenministerium, so musste die damalige Ressortchefin Fekter im Jahre 2010 von 2,3 Milliarden Euro Budget gleich einmal 1,3 Milliarden für die Personalkosten der Sicherheitsexekutive berappen. Ähnlich geht es Unterrichtsministerin Claudia Schmied mit den Lehrern. Hinzu kommen Gebäudemieten oder Förderungen für Skikurse und Sprachwochen etc. "Natürlich kann man zum Beispiel Förderungen streichen, aber nur mit erheblichem Aufwand und mit entsprechenden Konflikten", sagt Steger. "Anderes kann ich aber nicht streichen: Zinsen kann ich nicht schuldig bleiben. Das heißt, es gibt schon noch einmal einen Unterschied zwischen Zinszahlungen und Förderungen."

Spielräume müssen mühsam erkämpft werden

Volkswirt Haber, der an seinem Institut bereits die Ausgaben einzelner Abteilungen in Ministerien unter die Lupe nahm, vermutet, dass der politische Spielraum der meisten Minister im einstelligen Prozentbereich liegt. Eine Einschätzung, die sich mit Stegers Erfahrungen deckt. Der Sektionschef nennt als Beispiel den Bundesvoranschlag 2012 in Höhe von 73,6 Milliarden Euro. "Davon sind knapp sieben Milliarden gestaltbare Ermessensausgaben. Das sind knapp zehn Prozent, dies ist aber eine Einschätzung des Finanzministeriums, nicht abgestimmt mit den Fachressorts."

Steger, dem als Spitzenbeamten des Finanzministeriums naturgemäß am liebsten wäre, die Fachminister würden ihre Spielräume zum Sparen nützen, schildert die Situation aber noch dramatischer: "Die Bemessungsgrundlage für mögliche Einsparungen sind knapp zehn Prozent, nicht der Spielraum. 'Gestaltbar' heißt nicht, dass ich diese Ausgaben auf null fahren kann. Da kann ich realistischerweise nur einen Teil abzwacken."

Abgerdnete als Kosten-Wächter

Und was geschieht, wenn ein Minister einmal wider Erwarten einen Überschuss in seinem Ressort hat? Oder unerwartete Zusatzkosten? Kann der Bürger überhaupt erfahren, was damit passiert? Steger sieht in diesem Falle genügend Transparenz gegeben. "Wenn Ministerien im Bereich der überplanmäßigen Ausgaben - jene, die über das hinausgehen, was im Budget veranschlagt ist - etwas ausgeben, dann wird das vierteljährlich ans Parlament berichtet."

Diese Quartalsberichte erhalten alle Abgeordneten im Budgetausschuss, dürfen aber nicht direkt an die Öffentlichkeit gelangen. derStandard.at fragte darum nach, aus welchem Grunde die Original-Berichte des Finanzministeriums für Medien nicht zugänglich gemacht werden. Der juristische Grund, antwortete die Parlamentskorrespondenz, liege darin, dass die Quartalsberichte des Finanzministeriums nicht Teil der Gesetzgebung sind und daher auch nicht im Plenum debattiert werden. Vielmehr seien die Berichte Teil der Vollziehung. Die Abgeordneten im Budgetausschuss erhalten die Berichte aus dem Finanzministerium also nicht, um darüber zu verhandeln, sondern für die sogenannte begleitende Budgetkontrolle. Der Abgeordnete wache hier gleichsam über die Exekutive und sei Vertreter und Anwalt des Bürgers, heißt es aus der Parlamentskorrespondenz. Diese versichert außerdem, dass der Nationalrat beim Budget um größtmögliche Transparenz bemüht sei. Denn: Die schwer durchschaubaren Zahlenfriedhöfe aus dem Finanzministerium werden sehr wohl als Zusammenfassung mit relevanten Zahlen auf der Homepage zugänglich gemacht.

Dort erfährt der Bürger etwa, dass Finanzministerin Fekter von April bis Juni 2011 überplanmäßige Ausgaben von 163,7 Millionen Euro genehmigte - gedeckt durch Einsparungen, Mehreinnahmen und Rücklagen. Im Bericht der Parlamentskorrespondenz heißt es etwa wörtlich: "Die bedeutendsten Ausgabenüberschreitungen resultierten aus der Arbeitsmarktförderung (33,6 Millionen), dem Krisenmanagement, der Familiengerichtshilfe, dem elektronisch überwachten Hausarrest (22,5 Millionen) und der Filmförderung (18,5 Millionen)." Mit dem "Hausarrest" ist die elektronische Fußfessel für Häftlinge gemeint, der Kostenpunkt "Krisenmanagement" resultiert zum Beispiel aus zusätzlichen, krisenbedingten Flügen österreichischer Minister nach Brüssel.

Wer gestalten will, greift in Rücklagen-Topf

"Vieles wird finanziert durch Umschichten zwischen bestehenden Ausgabenpositionen, es gibt aber auch Fälle, wo ein Minister in seinen Rücklagen-Topf greift", erklärt Steger. Minister dürfen außertourlich Geld ausgeben, solange sie saldoneutral bleiben. Das birgt den Vorteil, auf wirtschaftliche Entwicklungen oder neue Gesetzeslagen flexibel reagieren zu können. An einer Stelle wird gespart, an anderer investiert.

Steger gefiele freilich eine andere Option besser: "Wenn man einspart, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man hat Geld für anderes übrig, oder man macht weniger Defizit und kommt vielleicht irgendwann einmal in den Budgetüberschuss. Von dem träume ich, seit ich diesen Job mache." Steger leitet die Budgetsektion im Finanzministerium seit 14 Jahren. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 11.11.2011)