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Der Druck am Arbeitsplatz strapaziert die Nerven.

Foto: AP/Drew

Ohne Zweifel, die Druckverhältnisse am Arbeitsplatz strapazieren die Nerven. Oben wie unten. Wenig Gelassenheit und viel Aufgeregtheit in Aktion wie Reaktion führen das immer wieder vor Augen.

Vielfältige Überreaktion kennzeichnet den Arbeitstag, Chefs wie Mitarbeiter lassen sich ein ums andere Mal wenig besonnen in Situationen hinein-, von ihnen fort- und zu viel Kontraproduktivem hinreißen.

Bedachtes Handeln aus der Kunst des dreifachen Lassens heraus (Zulassen, Weglassen, Loslassen) wird so meist vergeblich gesucht. Stattdessen, so scheint es, steht neben ungezügelter Spontanität die Kunst des Aktionismus in hoher Blüte.

Wenn, wie häufig zu hören ist, dieser Aktionismus auch zu einer gewollten Verhaltensweise und kontinuierliches Change-Management zu dessen allgegenwärtigem Ausdruck geworden ist, stellt sich Nachhaltigkeit nicht ein.

Unaufgeregtheit

Ganz im Gegenteil. Anstelle der mehr und mehr in die Irre führenden geistigen Abhängigkeit von den Referenzgrößen des Tages als Bezugs- und Orientierungsgrößen wäre dringend auf das Geschehen beruhigend wirkende Unaufgeregtheit als maßgebliche Führungsqualität gefragt, eine den Mitarbeitern zu tatsächlicher Wegweisung verhelfende größere Halbwertszeit des Angesagten, im Denken, Beurteilen, Handeln und Verwerfen. Veränderung als unternehmensweites Vorgehens- beziehungsweise Verhaltensprinzip ist kein werteschaffender Wert an sich.

Was allenthalben schmerzlich vermisst wird, sind besonnene, zumindest etwas besonnenere Köpfe, die ein wenig erhellende Distanz zu dem Geschehen ermöglichen und den notwendigen geistigen Raum gewähren, die Dinge erst einmal zu bedenken, bedenken zu können. Und dadurch davor bewahren, immer wieder konfus unter die Räder des Geschehens zu kommen, zu Getriebenen anstatt zu Steuernden zu werden, eben zu pausenlosen Veränderern.

Je herausfordernder, komplexer und verunsichernder sich eine Situation darstellt, desto bedeutsamer wird Distanz zu ihr, desto mehr verlangt sie nach solchen besonnenen Köpfen. Bewahren doch einzig und allein sie davor, von den anbrandenden Flutwellen der Aufgeregtheit mitgerissen und in ihrem Sog den Boden unter den Füßen und auf der gegenüberliegenden Seite des Rumpfes Durch- und Überblick zu verlieren.

Entflammbarkeit zügeln

Für die betriebliche Effizienzpflege wie die dazu - viel bewusster als bislang realisierte - notwendige Sorge um das Wohlergehen der Belegschaft sollte Besonnenheit für Führungskräfte zu einer definitiv geforderten Eigenschaft werden. Und eine weitere Forderung an deren Adresse wäre, sich zuverlässiger im Griff zu haben und zu behalten, die unter der Oberfläche stets auf der Lauer liegende emotionale Entflammbarkeit zügeln zu können, sich nicht durch einen sprachlichen, körpersprachlichen oder sonstigen Auslöser wie auf Knopfdruck zu unbedachtem Tun und Sagen verleiten und hinreißen zu lassen.

Besonnenheit ist die - auch und gerade im Eigeninteresse - vermutlich derzeit in ihrer Wirkung verkannteste Führungsqualität. Ist sie doch für selbsttragend wirkungsvolles Umgehen miteinander im Blick auf gesteckte Ziele die wesentliche Voraussetzung. Einen zuverlässigeren persönlichen Sicherheitsanker, um in den heiklen, vielfach unter allen möglichen Vorbehalten und Wenn und Abers stehenden zu erledigenden Aufgabenstellungen die Nerven zu behalten und sich in ihnen zu behaupten, überhaupt um sich als Vorgesetzter zu behaupten, gibt es nicht.

Besonnen, kraftvoll, aber mit Bedacht zu führen, darin liegt zu einem Gutteil die Begründung der im Alltag vielfältig segensreichen Wirkung gleichzeitig anerkannter wie effizienter Vorgesetzter. Was sich vielleicht am auffälligsten in deren Umgang mit sich stellenden Problemen oder aufgetretenen Fehlern zeigt.

Aus der heute zwangsläufigen alltäglichen Durchmischung von routiniertem und notwendigem innovativem Verhalten erwächst unausweichlich eine Fehlergeneigtheit des Tuns.

Fehler tabuisiert

Aus einem unreflektierten Perfektions- und/oder Sicherheitswahn heraus werden Fehler nicht zur Kenntnis genommen, ja tabuisiert.

Damit wird auf unverzeihliche Weise die allen Fehlern innewohnende Hinweis- und Wirkungskraft ungenutzt gelassen.

Man muss Fehler nicht bejubeln, aber man muss ignorant sein, um sich in schöner Regelmäßigkeit über sie zu echauffieren und nach Fehlerfreiheit zu rufen. Und darüber ein ums andere Mal die Chance zu vertun, sie vorurteilsfrei zu analysieren und auf diese Weise den sich in ihnen bietenden Lern- und Entwicklungseffekt zu nutzen.

Besonnen, kraftvoll und mit Bedacht führende Vorgesetzte wissen: Mit der dümmsten aller dummen Fragen, "Wer und wo sitzt der Schuldige, wer hat Schuld?", unterbinden sie jedwedes weitere zukunftsweisende Handeln auf der Stelle.

Ihr Interesse gilt den drei Erkenntnis bringenden W: "Wo könnte der Ursprung des Problems / des Fehlers liegen?", "Wie ist oder wäre das Wiederauftreten des Problems/Fehlers zu verhindern?" "Was hat das Auftreten des Problems/Fehlers begünstigt?" Dieser fragende, situativ beruhigend und evolutionär effizient wirkende Dreiklang allein bringt ein Unternehmen voran.

Echte Verantwortung

So selbstverständlich in diesem Sinne besonnen vorgehende Vorgesetzte den Dingen auf den Grund gehen, anstatt Menschen in Grund und Boden zu rammen, so übernehmen sie auch für eigene Irrtümer, Fehler oder Versäumnisse ohne Wenn und Aber die Verantwortung. Das Spiel mit dem schwarzen Peter ist nicht das Spiel besonnener, kraftvoll und mit Bedacht führender Vorgesetzter. Womit nicht zuletzt eine immer wieder gestellte Frage viel von ihrer Rätselhaftigkeit verliert: Weshalb wirken manche Vorgesetzte um so vieles gewinnender, ermutigender und anspornender für ihre Umgebung? Weshalb erschließen sie sich um so vieles leichter Herzen und Potenziale ihrer Leute? Weshalb ist der Krankenstand in ihrem Beritt so auffallend niedrig?

Keine Abwertungen

Weil sie Vorbild und Förderer ihrer Mitarbeiter sind. Weil sie niemanden demütigen. Nicht direkt, durch Geringschätzung. Und auch nicht indirekt durch Selbstüberhöhung und -überschätzung. Das eine wie das andere ein nicht eben selten anzutreffendes "Führungs"verhalten.

Vor einiger Zeit erschien im Springer Verlag in Wien ein aufschlussreiches Buch: Der Soziopath von nebenan - Die Skrupellosen: ihre Lügen, Taktiken und Tricks. Es kann einiges dazu beitragen, die seelischen Probleme am Arbeitsplatz nachvollziehbarer zu machen. Burnout ist nie ein einseitiges Geschehen.

Das eigene Verhalten und die Auswirkungen fremden Verhaltens mischen sich darin auf explosive oder besser implosive Weise. Wer ausbrennt, explodiert ja nicht, der fällt ja in sich zusammen. Und daran sind Vorgesetzte, die die Macht lieben, herrschen und es auskosten, auf Kosten anderer zu siegen, reich beteiligt.

Nicht zuletzt, weil sie anderen jedwede lebensnotwendige Selbstwirksamkeitsüberzeugung nehmen. Denn diese Überzeugung ist die wesentliche Voraussetzung dafür, sich unbefangen an die Arbeit zu machen.

Wer sich ständig bedrängt ("angespornt"), belauert und geduckt fühlt, wie soll der jemals das erleben, was Leistung zum berauschenden Erlebnis macht, das Gefühl von Flow? Das Gefühl, in der Arbeit aufzugehen und sich durch die Arbeit selbst zu bestätigen?

Motivation ermöglichen

Die ausschlaggebende, die intrinsische Motivation, der Wille zur Leistung aus eigenem Antrieb heraus, lässt sich nicht erzwingen. Nur fördern. Und das vor allem durch Verzicht auf Demotivation. Für besonnen, kraftvoll, mit Bedacht führende Vorgesetzte sind diese Zusammenhänge Alltagswissen und -werkzeug.

Führen Vorgesetzte besonnen, kraftvoll und mit Bedacht, fühlen sich alle den schnell wechselnden, nur zu oft verunsichernden beruflichen Situationen bei weitem nicht so hilflos ausgeliefert wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen mit weniger Glück mit ihren Chefs.

Das Feuer, das dann in ihnen brennt, frisst sie nicht auf, es treibt sie an. (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 29./30.10.2011)