Die Arbeitslosigkeit bei Migranten nach Bundesländern.

Grafik: DER STANDARD

Wien - Sie kommen oft in Begleitung, manchmal mit der halben Familie im Schlepptau. Stumm sitzen die Frauen da, das Kopftuch ins Gesicht gezogen, während der Mann an ihrer Seite das Wort führt. Zieht die Beraterin ihnen doch ein paar Sätze aus der Nase, offenbart sich nicht selten holpriges Deutsch.

Türkische Mädchen und Frauen zählen zur schwierigsten Klientel von Jobvermittlern. Drei Viertel haben lediglich die Pflichtschule besucht - und auch diese nicht immer lückenlos. "Einmal gehen sie in die Schule, dann wieder nicht", sagt Inge Friehs, "weil von vornherein klar ist, dass sie heiraten und Hausfrau werden sollen". Die Vizegeschäftsführerin des Wiener Arbeitsmarktservices will keinesfalls alle türkischen Familien in diesen Topf werfen: "Doch es sind immerhin so viele, dass es uns auffällt."

Friehs beschreibt nur eine Facette eines beunruhigenden Gesamtbildes: Unter den Kunden des AMS sind Menschen mit Migrationshintergrund stark überrepräsentiert. Mit 31,4 Prozent ist ihr Anteil unter Österreichs Arbeitslosen fast doppelt so hoch wie bei den Beschäftigten. In Wien stellen Zuwanderer "nur" 32 Prozent der Werktätigen, aber beinahe die Hälfte der Jobsucher. Von den arbeitslosen Jugendlichen der Hauptstadt haben sogar 70 Prozent ausländische Wurzeln.

Österreich kämpfe mit den gleichen Problemen wie viele andere westeuropäische Staaten, die ihre boomende Industrie in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit ausländischen Arbeitskräften besetzten, sagt der niederländische Migrationsforscher Bert-Jan Buiskool. Doch weil weder Gast noch Gastgeber mit einem Daueraufenthalt rechneten, investierten beide Seiten zu wenig in Weiterbildung. Als alte Industriejobs wegbrachen, blieben als Erste einseitig fokussierte Migranten übrig.

Vielen Gastarbeiterkindern gelang es nicht, ihre schlecht ausgebildeten Eltern zu überflügeln. Immer noch hat ein Drittel der Bürger mit Migrationshintergrund lediglich Pflichtschulabschluss, bei den Türken sind es mehr als doppelt so viele. Domänen sind Branchen wie Gebäudebetreuung, Landwirtschaft und Tourismus, wo es hohe Fluktuation und niedrige Gehälter gibt: Zuwanderer finden rascher Jobs als einheimische AMS-Kunden, fliegen aber auch schneller wieder raus.

"Bildung, und zwar von klein auf" hält Friehs für den "Schlüssel", an dem Jobvermittler wie sie freilich nur begrenzt, weil erst spät drehen können. Nichtsdestotrotz will das AMS Wien im kommenden Jahr um zwei Millionen mehr für gezielte Unterstützung von Migranten, die in der Regel sehr motiviert seien, aufwenden. So sollen Sprachkurse mit Konversationstraining ergänzt werden - damit frisch erworbene Deutschkenntnisse nicht gleich wieder versanden. Fast die Hälfte der jugendlichen Klienten, wissen die Betreuer, spricht zu Hause ausschließlich in der Muttersprache.

Neue Ausbildungsmodule sollen Zuwanderern helfen, zu einem hierzulande anerkannten Abschluss zu kommen, anderweitig erworbene Fähigkeiten - etwa Berufspraxis - will das AMS bei der Vermittlung stärker berücksichtigen. Denn bei allen Bildungsdefiziten zeigt sich auch: Fast 30 Prozent der Zuwanderer gelten für ihren Job als überqualifiziert.

Hoffnung setzt das AMS auch in eigens abgestellte Coaches, die Migranten bei der Arbeitssuche quasi bei der Hand nehmen sollen. Überdies schwärmen Berater aus, um in "bildungsfernen Schichten" Kontakte zu knüpfen - in Moscheen, Lokalen oder auch in Mädchenschulen. In Erstgesprächen mit jungen Frauen aus traditionellen Familien gehe es oft gar nicht um die Arbeitssuche, erzählt Friehs, viele redeten sich erst einmal den Frust über ihr beengtes Leben von der Seele. Die Klientinnen wollten deshalb Jobs in österreichischen Firmen und nicht in Migrantenunternehmen: "Denn da sind Frauen erst recht wieder die Dienenden."

Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hat ein neues Rezept bei der Hand: Eine Ausbildungsverpflichtung bis zum 18. Lebensjahr, was umgekehrt auch ein Recht auf Ausbildung bedeute. Allerdings räumt er ein, dass Österreich auf eine solche Garantie noch nicht eingestellt sei - dafür fehlten Lehrplätze. Lange warten dürfe man nicht mehr, warnte Hundstorfer bei einer Konferenz des AMS Wien diese Woche: "Es herrscht Alarmstufe Rot." (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.10.2011)