Eigentlich plante ich, über zwei Dokus zu berichten, die Leere und die Schwere der ersten, von Rechokim (The Collaborator and his Family), nahm mir den Platz für die zweite - von dieser später.

The Fall of the House of Usher reloaded: "Sie haben meinen Bruder ermordet", sagt Ibrahim. "Sie wollten uns weghaben." Er spricht von seinen eigenen Landsleuten, und man glaubt es ihm sofort, wie sehr er Gewalt verabscheut. Er hat den Israelis vertraut. Was als Flucht von Hebron in eine ungewisse Zukunft in Tel Aviv begann, endet in einer perspektivlosen Zeitlosigkeit und Ohnmacht. Die Hintermänner lassen den Kollaborateur fallen, die Stadtpolizei provoziert und misshandelt die Kinder, bis diese tatsächlich mit kleinen krummen Dingen beginnen, für die sie umso härter bestraft werden: eine Spirale der Kriminalisierung.

Über mehrere Monate verschlechtert sich die Lage zu immer weiteren griechischen Tragödien, nicht von emotional instabilen Göttern, sondern von der langsam mahlenden Bürokratiemühle verursacht. Was da, Tag für Tag, zu Staub zermahlen wird, ist die Familienstruktur, die Würde, die Zukunft der Kinder. Die Mutter, die die Familie zusammenzuhalten hofft, verfällt inmitten der unerträglichen Abwärtsbewegung: Am Ende des Films erleidet sie einen Schlaganfall. Ihr kurzer Ausbruchsversuch zu ihren Verwandten, die Hamas-Anhänger sind, endet fatal: Ihre Schwester versucht, eines der jüngsten Kinder als Rache für die "Vergehen" des Geflohenen zu vergiften.

Auch für sie gibt es keinen sicheren Ort mehr, nicht hier, nicht dort, sie ist dazu verdammt, im Fegefeuer der Situation zu verharren. Bei Yusras Rückkehr gehen ihrem Ehemann die Nerven durch, sie streiten, er schlägt zu. Die Polizei erscheint zum wiederholten Mal. Ibrahim wird verhaftet und für sieben Monate zu einem "Hausarrest" auf einem verlassenen Dach (!) verurteilt, obwohl er nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung hat.

"Eine Anomalie", wird das sein Rechtsberater nennen, man denkt unwillkürlich an Matrix und weiß, was das bedeutet: eine drastische Verschlimmerung der Situation. Wie auch in Matrix stellt das mobile Telefon die einzige Verbindung zur versprochenen Realität dar, die immer gleich ablaufenden Gespräche des Familienvaters mit den Hintermännern. Da steht er nun, auf dem Flachdach, bis alles im Dunkeln liegt, nur noch sein Ohr und seine Wange vom Display neben seinem Ohr erleuchtet wird.

Kleiner Triumph 

Suffian, der Zweitälteste, den die Polizei auch als Kollaborateur anwerben will, entscheidet sich dagegen. Ein kleiner Triumph des rebellierenden Sohnes, der trotz aller Pubertätskrisen immer noch seinen Mann in der Familie stehen möchte, als Vermittler, als Helfer, als jemand, der irgendwo dazugehört. Er steht allein da in diesem Niemandsland, in dem die politischen Systeme beider Seiten die Familie niederwalzen. "Wir haben zu viele Probleme. Ich muss mich geschickt zwischen Leben und Tod entscheiden", sagt Suffian und hat vermutlich dramatisch recht. (Julya Rabinowich, DER STANDARD - Printausgabe, 26./27. Oktober 2011)