Die Zugehörigkeit zu verschiedenen gesellschaftlichen Klassen wirkt sich wesentlich auf den Lebens- und Karriereverlauf aus - und dies zumeist nachteilig für jene der niedrigeren Schichten. Die soziale Herkunft bestimmt die Beteiligung an höherer Bildung mit, was bedeutet, dass der Bildungsgrad der Eltern die Wahl der Ausbildungsart entscheidend beeinflusst. Wie die letzte Volkszählung (2001) ergab, schließen 90 Prozent der Akademikerkinder ihre Schulzeit mit Matura ab; 50 Prozent der Arbeiterkinder entscheiden sich für eine Lehre.

An den Universitäten zeigt sich ein ähnliches Bild. Nur 6,5 Prozent der Studierenden stammen aus Familien, in denen beide Elternteile höchstens einen Pflichtschulabschluss aufweisen. Wenig überraschend finden sich auch in unserer Karriereverlaufsstudie (ViCaPP) Hinweise darauf, dass Wirtschaftsakademiker aus höheren Bildungs- und Berufsschichten stammen. Je höher die Bildung des Vaters, desto mehr verdient der Sohn. Wird sich das in der neuen Kohorte (Absolventen 2010) wiederspiegeln, bzw. welche Rolle nimmt die Bildung der Mutter ein? Man darf gespannt sein.

Doch selbst nach erfolgreicher Absolvierung einer universitären Ausbildung bleibt die soziale Herkunft ein entscheidendes Selektionskriterium, wenn es um Spitzenpositionen geht. Angeregt von einer französischen Studie, die ergab, dass mehr als vier Fünftel aller Führungskräfte in der Wirtschaft aus einer Schicht stammen, der nur drei Prozent der Gesellschaft angehören, wurden in Deutschland die Laufbahnen von 6500 Akademikern, die ihr technisches, juristisches oder wirtschaftswissenschaftliches Studium mit Doktorat abgeschlossen hatten, analysiert: Gerade in Bewerbungssituationen mit formal gleich gut ausgebildeten Personen macht der sogenannte Habitus - in Form der Selbstverständlichkeit in Bezug auf Umgangsformen und Geschmack - einen entscheidenden Unterschied.

Eine aktuelle Studie aus England zeigt ebenfalls deutlich, dass der Eintritt in den gewünschten Beruf eine relevante Hürde für Personen aus der Arbeiterklasse darstellt. Ist diese übersprungen, lässt sich der anfängliche Nachteil in eine wertvolle Ressource umwandeln. In einer britischen Werbeagentur wurden Mitarbeiter aus der Kreativabteilung mit Arbeiterklassenhintergrund eingehend zu ihrem bisherigen Lebensweg bzw. Berufsverlauf befragt. Sie berichteten u. a. vom geringen Stellenwert von Büchern und kulturellen Freizeitaktivitäten in ihrer Kindheit, von mangelnder Förderung durch Lehrer bzw. Eltern und betrachteten ihre Entscheidung, ein College bzw. eine Universität zu besuchen, als wesentlichen Wendepunkt in ihrem Leben. Hatten sie es geschafft, die Eintrittsbarriere zu überwinden, fanden sie ihre besondere Funktion in der Werbebranche darin, eine Art Übersetzungsfunktion zwischen verschiedenen sozialen Klassen einzunehmen. Gerade ihre soziale Herkunft ermöglichte es ihnen, sich besser in bestimmte Zielgruppen hineindenken zu können. (Markus Latzke/DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.10.2011)