Verena Lercher und Sophie Hottinger in "Minna von Barnhelm".

Foto: Lupi Spuma

Graz - "Drei bis sechs Jahre Festungshaft" drohten einem vor rund 250 Jahren nach dem Siebenjährigen Krieg, wenn man "der Bestechung im Amte" verdächtigt wurde. Das mag die Fantasie der Theaterbesucher dieser Tage besonders anregen. Welche Festung wäre im heutigen Österreich groß genug ...? Egal.

Lessings Major von Tellheim, der seit Samstag in Minna von Barnhelm das Grazer Schauspielhaus heimsucht, ist ja eben kein Gauner, der auf den eigenen Vorteil bedacht ist, sondern einer der tatsächlich moralisch und aufrichtig ist. Einer, von dem Frauen nur träumen, wenn sie bewusstseinserweiternde Drogen konsumiert haben. Kurz: ein Guter.

Die Geschichte ist bekannt: Weil Tellheim unter falschen Verdacht gerät, eine Armverletzung hat und vorübergehend Ansehen und Reichtum verloren hat, will er sich seiner Verlobten - der ebenfalls ganz und gar guten, aber listigen Minna - nicht mehr antun.

Ob es nun tatsächlich um Ehre oder Geld geht in diesem Paradestück der Aufklärung, dazu gibt es verschiedene Interpretationen. Regisseur Elmar Goerden, der in der vergangenen Saison mit Hebbels Judith in Graz zu Gast war, ließ auch einen dritten Aspekt, der Lessing vielleicht nebenbei passierte, nicht unbeachtet: Den Geschlechterkampf. "Gleichheit ist allein das feste Band der Liebe", sagt Minna triumphierend, nachdem sie ihrem Major die Unsinnigkeit seiner Argumente vorgeführt hat. Verena Lercher spielt sie als besonders unbeschwerte, optimistische junge Frau, der man auch ohne der schwarz umrandeten Streberbrille den Durchblick abnehmen würde.

Ihren Tellheim gibt Jan Thümer mehr zaudernd als standfest, als ob er sich selbst den übertriebenen Stolz im Innersten gar nicht abnehmen könnte. Die Lächerlichkeit und Künstlichkeit seines überdrehten Stolzes finden auch in ironisch-historischen Kostümen (Lydia Kirchleitner) und auf der Bühne (Silvia Merlo und Ulf Stengl), die keiner betreten kann, ohne sich durch den Spalt einer Gummizelle zu zwängen, ihre Übersetzung.

Bei Tellheims Diener Just (in Badeschlappen: Stefan Suske) blättert der stolze Schein schon, während der stramme Exdiener Paul Werner (Leon Ullrich) ihn noch weiterträgt. Am Ende heulen alle drei Männer - vor Rührung.

Doch die eigentliche Hauptfigur der Inszenierung ist Sophie Hottingers Franziska. Die Schweizer Schauspielerin lernte für die Rolle nicht nur unglaublich witzig sächseln, sondern gibt jeder Szene, in der sie auftritt, Schwung. Goerden, der kleinere Figuren und Textpassagen strich, lässt Franziska alles, was gerade rezitiert wird, mit einem Blick, einer Geste - oder einem Biss in einen Kebab - konterkarieren. Zwischendurch parliert die bodenständige Dienerin auch über Nathans Ringparabel, die ihr immerhin einen anerkennenden Schmollmund entlockt. So verdient sich das Stück auch heute die Bezeichnung Komödie - auch wenn man wohl nicht immer an den selben Stellen lacht, wie es die Leute 1767 getan haben. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD - Printausgabe, 24. Oktober 2011)