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Das Kreuz in Kindergarten, das Kreuz im Klassenzimmer: Im Streit, wie viel katholischer Einfluss auf Klein- und Schulkinder menschenrechtskonform ist und ab wann man von übermäßiger Beeinflussung sprechen muss, geht es scheinbar immer ums Symbolische. Auch im Anlassfall: Einem agnostischen niederösterreichischen Kindervater ging der gelebte Katholizismus im Dorfkindergarten seiner Tochter samt Kreuz an der Wand zu weit. Er klagte.

Im heurigen März wies der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde ab. Kardinal Christoph Schönborn und der St. Pöltener Diözesanbischof Klaus Küng freute das - vor allem wegen des Kreuzes. Der Spruch sei "ein starkes Zeichen, dass in Kindergärten und überhaupt im öffentlichen Raum religiöse Symbole wie das Kreuz ihren Platz haben", sagte Küng.

Doch es geht um mehr - um ein in Österreich und anderen traditionell katholischen Ländern weiter bestehendes, viel allgemeineres Problem: die in manchen öffentlichen Bereichen aufrechterhaltene katholische Dominanz. Besagter Vater und seine Anwältin Doris Einwallner haben die Causa jetzt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gebracht. Und, wer ihren Schriftsatz liest, erkennt: Das Kreuz in Kinderaugenhöhe ist in diesem Fall nicht der einzige Streitpunkt. Sondern auch die Selbstverständlichkeit, mit der in Österreich, im ländlichen Raum, katholische Bräuche nach wie vor als für alle verbindlich gelten.

Zum Außenseiter gemacht

So sehr, dass, wer "dazugehören" will, mitmachen muss. Und dass, wer sich ausschließt (indem er, wie es jedem ja freisteht, nicht teilnimmt), zum Außenseiter zu werden droht: Umstände, die in einer öffentlichen Einrichtung wie einem kommunalen Kindergarten, einer Einrichtung für alle Kinder, tatsächlich ein Problem darstellen.

Woher das Problem stammt, können am besten Menschen schildern, die - einer anderen als der katholischen Religion oder gar keiner angehörend - vor mehreren Jahrzehnten institutionelle Erfahrungen machen durften. In den 1970er-Jahren war es etwa in Kinderspitälern mit (auch) geistlichen Schwestern gang und gäbe, nicht-katholische Kinder zweimal täglich, zu den "Betzeiten", im Krankenbett auf den Gang hinauszukarren, damit sie die Betenden "nicht störten".

Seitdem hat sich viel verändert - aber Restbestände derartiger diskriminierender Einstellungen sind geblieben: Im niederösterreichischen Kindergarten des Jahres 2011 würden weiterhin "ausschließlich christliche Feste gefeiert", bringen der Vater und die Anwältin in ihrer Einlassung fürs europäische Menschenrechtsgericht vor. "De facto" sei die Teilnahme an diesen Veranstaltungen "verpflichtend, da alle der angeführten Feste bzw. Feiern im Rahmen der Kindergartenaktivität durchgeführt werden". So habe ein Erntedankfest "während der üblichen Kindergartenbetriebszeiten in den Räumlichkeiten der Ortskirche und in Anwesenheit des Pfarrers" stattgefunden. Und die Vorbereitung der Kinder auf diese Feste sei "untrennbar in die tägliche Kindergartenaktivität eingegliedert", sodass wer nicht wolle, dass sei Kind daran teilnimmt, dieses tagelang abmelden müsste.

Kindergartenpflicht

Ein solches "tagelanges Abmelden" dürfte vor allem im Rahmen des verpflichtenden Kindergartenjahrs ein Problem darstellen: In diesem Jahr kann man es sich nicht wirklich aussuchen. Zudem wurde das verpflichtende Kindergartenjahr ja unter anderem deshalb eingeführt, um Kindern aus Einwandererfamilien vor der Schulpflicht einen Ort zum Deutschüben zu eröffnen. Nun gehören weit mehr Einwanderer als "Einheimische" (und deren Kinder) einer anderen als der katholischen Religion an. Also stellt sich die Frage: Fällt katholische Einseitigkeit in diesem Jahr nicht ganz besonders ins Gewicht?

Und überhaupt: Im niederösterreichischen Dorfkindergarten fände "keinerlei Auseinandersetzung mit anderen Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen" statt, bringen der Vater und Einwallner vor. Warum eine solche Auseinandersetzung im heutigen Österreich, einem Einwanderungsland, nicht längst selbstverständlich ist, ist eine Frage, die wohl auch das europäische Menschenrechtsgericht nicht beantworten wird. (Irene Brickner, derStandard.at, 22.10.2011)