Eleganz und Dynamik in der Reduktion: Ellsworth Kellys "La Combe II" (1950-51).

Foto: Kelly

Als reduktionistischer Schwarz-Weiß-Artist und auch als Zeichner

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Auch das Aufseherteam im Haus der Kunst macht mit. Ringsherum hängen ausschließlich Arbeiten in Schwarz und Weiß. Und was machen die Wärter? Sie entschieden sich, ganz im Sinne der Direktion, für gedeckte Kleidung. Ist das, was das Münchner Haus der Kunst zeigt, also ein mönchisches Kunst-Exerzitium? Denn bereits am ersten Publikumstag war es auffällig still in den Ausstellungsräumen. Andacht kann es aber nicht sein. Denn Transzendentes ist dem 1923 geborenen Amerikaner Ellsworth Kelly, den München derzeit gleich mit zwei unterschiedlichen, sich erstaunlich ergänzenden Ausstellungen ehrt, zwar nicht wesensfremd.

Aber die rund 50 Bilder und Reliefs sowie zwei Dutzend Zeichnungen und Fotografien in der von den Nazis gebauten Kunsthalle am Rand des Englischen Gartens sind nicht jenseitig. Sondern ganz irdisch. Auch wenn exakt einmal auf genau einem Gemälde eine kleine grüne Ecke zu sehen ist. Ansonsten nur: Schwarz. Und Weiß. Und Schwarz mit Weiß. Doch die Leinwände, auf denen die schwarze Farbe ganz flach aufgetragen ist, sind keine Schattenrisse. Auch wenn der Auftakt vorführt, wie Kelly, der von 1948 bis 1954 in Paris lebte, seine Seherfahrungen schlagartig abstrahierte. Der Blick aus einem Fenster ergab nur noch ein konstruktives Skelett, ohne Tiefe, ohne Licht.

Und vor allem jenseits aller Theorie. Er selber unterstrich einmal, wie wichtig für ihn der "Einsatz der Augen" ist. Das Helle ist freundlich, Dunkles steht für Finsternis? Davon muss man sich bei Kelly verabschieden. Seit den Anfängen seiner Schwarz-Weiß-Malerei im Jahr 1949, eine stilisierte Pflanze, eine geschlossene Tulpe, ist für ihn die Welt eine Anhäufung von Bildobjekten geworden, unsigniert, anonym, nicht "gemacht". Reduziert. Streng, wenn er eine weiße Tafel mit einer schwarzen verbindet, dynamisch, wenn es ein ungleichmäßiges Dreieck ist, ein Trapez.

Zwanzig Jahre warten

Zwanzig Jahre trug Kelly die Idee einer sich ausschließlich auf seine Schwarz-Weiß-Arbeiten, knapp ein Drittel seines gesamten malerischen Werkes, konzentrierenden Ausstellung mit sich herum. Ulrich Wilmes, der Chefkurator des Hauses der Kunst, hat sich nun glücklicherweise darauf eingelassen. Minuziös bestimmte der in New York lebende Kelly Hängung und Abfolge anhand eines Modells, das er sich extra bauen ließ. Eine Arbeit, die nach dem Ende der Schau zerstört werden soll, fertigte er exklusiv für München an: einen auf den Boden gelegten schwarzen flachen Stahlbogen. Das ist keine Skulptur, denn umrunden lässt sie sich nicht, ein Ende ist in die Saalecke geklemmt, sodass man nur davor stehen kann und auf und ab geht wie vor einem Gemälde, das paradoxerweise eine Bodenarbeit ist - ein ironischer Kommentar zur Grenzziehung zwischen Kunstsparten.

Wirklich spannend ist es aber, die Vorarbeiten, Studien und die Fotografien zu sehen, die man, fast zu sehr am Rande, ganz am Ende der Ausstellung findet. Die Aufnahmen von Schatten, Gittermustern, Trottoirs, Dächern und vor allem von Schatten in diversen Ausprägungen zeigen, dass Kelly ein Ding-Maler ist. Auch wenn ihm am Ende die Welt der Dinge pure Form wird. Die auf so manchem Bild dann wieder in die dritte Dimension hinausstrebt.

60 Zeichnungen und 24 großformatige Lithografien von Pflanzen zeigt parallel dazu die Staatliche Graphische Sammlung in der weißen Pinakothek der Moderne. Und hier erlebt man, einsetzend Ende der 1940er-Jahre, einen ganz anderen Kelly, einen Künstler, der bunt und virtuos ist. Etwa wenn er auf vielen Blättern mit Tuschefeder, ohne abzusetzen oder Korrektur, eine Orange zeichnet, Äste, Lilien, Magnolien und Efeu. Diese Zeichnungen sind gleichberechtigte Arbeiten und für Kelly stets mehr gewesen als Vorarbeiten. Schließlich hörte er 1949 auf, Zeichnungen auf die große Leinwand zu übertragen. Was für ihn zählt, ist die Linie, der Umriss, der aus der Fläche drängt, die Leere zwischen dem Blatt und der Welt. (Alexander Kluy, DER STANDARD - Printausgabe, 22./23. Oktober 2011)