Foto: Mark Lekey/Galerie Buchholz, Berlin/Cologne

Grenzen zwischen Kunst und Leben geraten darin auf vielfältige Art ins Schwanken. 

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Film und Kunst verbindet unter anderem, dass beide aus den ihnen zugewiesenen Rahmen (Kino, Museum, Galerie) ausbrechen wollen. Die Kritik der Institutionen reibt sich dabei oft an den jeweiligen Bedingungen vor Ort (Wie kann hier Kunst entstehen und erfahren werden?), reicht in ihrer Konsequenz aber darüber hinaus und verweist auf gesellschaftliche Zu- und Missstände. Das Leben "da draußen" und die Kunst "da drinnen" sind auf vielfältige Weisen verbunden. Wie vielfältig, das erkundet in diesem Jahr das Special Between Inner and Outer Space, kuratiert von Christian Helbock und Dietmar Schwärzler.

A Study of Relationships between Inner and Outer Space von David Lamelas eröffnet die Filmreihe. Der Film nimmt seinen Anfang in einer leeren Galerie in London und protokolliert in einer Parodie wissenschaftlicher Genauigkeit erst die alltäglichen Vorgänge und Objekte im Inneren der Galerie, um anschließend in größer werdenden Kreisen die Gegebenheiten und Strukturen der umgebenden Stadt (Verkehrsmittel, Klima, Bevölkerungsdichte) aufzuzählen. Der äußere Raum wird endgültig zum "Outer Space", wenn ein Interviewer Passanten zur bevorstehenden Mondlandung befragt. Lamelas' Klassiker von 1969 ist eine ebenso augenzwinkernde wie subtile Studie über In- und Exklusion.

Verkehrte Verknechtung
Um einiges offensiver in der Frage ethnischer Repräsentation verfährt Isaac Julien. In The Attendant verwandelt Julien ein Museum über die Geschichte der Sklaverei in den Schauplatz homoerotischen und sadomasochistischen Begehrens zwischen einem weißen Besucher und dem titelgebenden schwarzen Museumswärter. Der Kurzfilm lässt für knapp zehn Minuten das Drama der Verknechtung in sein queeres Gegenteil kippen, wenn sich diejenigen, die nicht der Norm (hetero, weiß, männlich) entsprechen, die Werkzeuge der Unterdrückung (Peitschen, Ketten) als Instrumente der Lusterzeugung aneignen.

Doch die poppige Buntheit des Films wird von einem Schwarz-Weiß durchzogen, in dem Trauer, Verlust und Selbstverleugnung schwarzer Homosexualität immer noch manifest werden.

Eine ganz andere Art der Schwarz-Weiß-Verwirrung steht im Mittelpunkt von The Responsive Eye, einem frühen Kurzfilm Brian de Palmas, der die Eröffnung der gleichnamigen Op-Art-Ausstellung in New York im Jahr 1965 dokumentiert. Die Vernissage ist ein gesellschaftliches Großereignis. Der Kunst- und Filmtheoretiker Rudolf Arnheim erläutert mit Enthusiasmus Retina-Effekte und die Psychologie der Wahrnehmung. David Hockney erklärt, dass er diese Art von Kunst nicht ausstehen kann. Ein Sammler bedauert, dass die Werke nicht käuflich sind. Währenddessen tragen die Besucherinnen bereits Op-Art als Kostüm. Kunst wird "anonym" (Arnheim), während das Publikum zum Akteur wird.

Für The Good Life haben die belgischen Künstler Ronny Heiremans und Katleen Vermeir die Kunst gleich vollständig aus dem Ausstellungsraum evakuiert. Gemälde und Skulpturen stehen nur noch in Kisten verpackt herum, während eine Maklerin Käufergruppen durch die künftige Luxusimmobilie führt, die einst eine Galerie war. Kunst wird zum Hintergrundrauschen im Lifestyle-Ambiente, "kreative Energie" soll in Zeiten der Finanzkrise Kauflust wecken. Doch der Smalltalk beim Sektempfang wird von der Leere der Architektur beinahe erstickt. In den weitläufigen Etagen und labyrinthartigen Gängen des Gebäudes kann der Geschäftswillige sich jederzeit verlaufen.

Auch Ulay (Uwe Laysiepen) entfernt Kunst aus dem Museum, allerdings als halb dadaistischen, halb politischen Akt, strafrechtliche Folgen inklusive. Für seine Aktion Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst entwendete der Künstler ein Spitzweg-Gemälde aus der Neuen Nationalgalerie in Berlin, um es in der Wohnung einer türkischen Gastarbeiterfamilie aufzuhängen.

Der Film dokumentiert diese Aktion mit versteckter Kamera und schneidet dagegen die Reaktionen des Boulevards, der darin nicht mehr als die Tat eines "offenbar Geistesgestörten" erkennen wollte. Einen positiven Effekt hatte die Aktion aber doch - eine der Schlagzeilen verspricht: "Künftig mehr Sicherheit für Nationalgalerie". Auch im Forcieren der Sperren und Schranken liegt offenbar eine Konsequenz der Begegnung von Kunst und Welt. (Dietmar Kammerer, DER STANDARD - Printausgabe, 22./23. Oktober 2011)