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ÖGB-Präsident Verzetnitsch kam zur Betriebsversammlung auf der blockierten Einfahrtsstraße des Flughafens Wien Schwechat mit dem Motorrad.

foto: reuters/loebell
Wien - Ohne große Verkehrsstaus oder sonstige Behinderungen, geordnet und ohne Zwischenfälle ist Dienstag der zweite Aktionstag der Gewerkschaften gegen die Pensionsreformpläne der Regierung verlaufen. Der größte Streik der Zweiten Republik hat Österreich nicht - wie von manchen prophezeit - ins Chaos gestürzt. Auch der wirtschaftliche Schaden dürfte nicht die am Vortag genannte eine Mrd. Euro ausmachen.

Generalstreik nicht ausgeschlossen

Sollte die Regierung von ihren "gegen die Menschen gerichteten" Reformplänen nicht Abstand nehmen, wird es aber weitere gewerkschaftliche Aktionen geben, kündigte ÖGB-Präsident Fritz Verzetntisch an. Der Vorsitzende der Postbus-Gewerkschaft, Robert Wurm, schloss sogar einen Generalstreik nicht aus. Eine Bilanz über den heutigen Streiktag zieht der ÖGB erst am Abend.

Ein Zeichen an die Politik

"Wir werden die demokratische Entscheidung im Parlament zur Kenntnis nehmen, aber nicht anerkennen, wenn sie gegen die Menschen in unserem Land gerichtet ist", sagte Verzetnitsch bei einer der zahlreichen Betriebsversammlungen, an denen er im "Großeinsatz" teilnahm. Ein Zeichen an die Politik sollten die Streiks sein - "Denkt nach, was ihr da macht".

Kritik aus den eigenen Reihen

Auch aus den eigenen Reihen musste sich die ÖVP Kritik anhören: GÖD-Vorsitzender Fritz Neugebauer kritisierte, die Regierung habe die Pensionsreform mit ihrer Vorgangsweise "völlig vergurkt". Die Reform brauche aber breite Zustimmung in der Bevölkerung, also wäre die Regierung "gut beraten, morgen an den Verhandlungstisch zurückzukehren".

Regierung gegen Streiks

Die Regierung zeigte wenig Bereitschaft, der Aufforderung der Gewerkschaft nachzukommen. Die Regierungsspitzen verurteilten nach dem Ministerrat einhellig die Streiks. Kanzler Wolfgang Schüssel (V) kritisierte Reformunwillen der Gewerkschaft, Vizekanzler Herbert Haupt (F) warf ihr vor, den Verhandlungstisch verlassen zu haben. Nachdenken war allerdings auch angesagt - und zwar darüber, ob man sich überhaupt innerhalb der Koalition auf eine Reform einigen kann. Im Koordinationsausschuss wurde über die noch offenen FPÖ-Forderungen verhandelt. Und Ex-FPÖ-Chef LH Jörg Haider schloss den Bruch der Koalition nicht aus, sollte die ÖVP nicht auf die FPÖ eingehen.

KHG hat "Null Verständnis"

"Null Verständnis für die Streiks" demonstrierte Finanzminister Karl-Heinz Grasser - und das auch im eigenen Ministerium: Er ließ streikende Mitarbeiter auf "Schwarzen Listen" erfassen und versuchte, sie mit einem auch von Staatssekretär Alfred Finz (V) unterzeichneten Schreiben unter Druck zu setzen: Es handle sich um einen politischen Streik. DienstnehmerInnen seien verpflichtet, ihren Dienst zu versehen. GÖD-Chef Fritz Neugebauer und Finanzgewerkschafts-Vorsitzender Klaus Platzer widersprachen vehement. Die Anerkennung des Streikrechts sei Ausdruck der demokratischen Grundgesinnung, betonte Neugebauer.

Opposition: "Letztes Wort noch nicht gesprochen"

Verständnis für die Streiks hatte die Opposition, die auch auf Auswirkungen hofft. Für SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer ist "das letzte Wort noch nicht gesprochen". Die Regierung sollte die Streiks zum Anlass nehmen, einen neuen Vorschlag vorzulegen. "Bei dieser Pensionsreform, die die Regierung vorhat, wird nichts mehr herauskommen. Da ist der Karren verfahren", sagte Gusenbauer, der an einer Betriebsversammlung der Banken in Wien teilnahm. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen hofft, dass "die aus allen politischen Lagern zunehmenden Proteste ein Einlenken der Bundesregierung nach sich ziehen". Die Empörung über die Vorgangsweise der Regierung sei nachvollziehbar, herrsche derzeit im Parlament doch das "totale Chaos".

Viele Bereiche betroffen

Die Protest-Aktionen der Gewerkschaft haben viele Bereiche des Alltags- und Berufslebens betroffen. Die öffentlichen Verkehrsmittel - Personenzüge der Bahn, städtische Verkehrsbetriebe - fuhren den ganzen Tag über nicht, es gab einzelne Straßenblockaden. Dies führte mancherorts zu Staus - auch auf den Radwegen -, teils wurde aber auch weniger Autoverkehr als sonst festgestellt. Die Post wurde nicht ausgeliefert, viele Ämter hatten ebenso geschlossen wie die meisten Schulen, Kindergärten und Universitäten. Nur teilweise eingehalten wurden die Ankündigungen von Exekutive und Richtern, lediglich "Notdienst" zu verrichten. In allen Bundesländern gab es Aktionen, so z.B. in Salzburg eine Menschenkette mit 2.500 Teilnehmern. In der Privatwirtschaft waren hunderte Betriebe von Arbeitsniederlegungen betroffen.

Wirtschaftliche Folgen unklar

Schwierig ist es, die wirtschaftlichen Folgen des Streiks zu beziffern. Am Vortag hatte der Linzer Volkswirt Friedrich Schneider und die Wirtschaftskammer von bis zu einer Mrd. Euro Kosten gesprochen. Dem widersprach Wifo-Chef Helmut Kramer am Mittwoch: "Wenige zig Millionen Euro", vielleicht 20 oder 30, "sicher unter 50 Mio. Euro" nannte er im Ö1-"Morgenjournal". IHS-Chef Bernhard Felderer meinte, man könne die Folgen noch nicht abschätzen. Er befürchtet auch längerfristige Schäden durch negative Signale an künftige Investoren. (APA)