Materialsammlung I: Die Größe der Pressekonferenz habe ich unterschätzt. Inmitten von Schwarzbrilligen und Zausmähnigen, dunklen Strümpfen und roten Lippen wurde mir ein gelbes Mikrofon unter die Nase gerammt, und, nachdem ich naiv meinen Namen genannt hatte, wurde schnell offenbar, dass ich vom Stargast keinen Tau hatte. Der bebrillte Jüngling am anderen Ende des Mikrofonkabels freute sich. Wenn man schon vor der Pressekonferenz alles weiß, bräuchte man eigentlich nicht mehr hinzugehen, es sei denn, man wollte gesehen werden.

Ich wusste nichts und wollte auch nicht dabei gesehen werden, aber die Chance, das zu verbergen, bot sich nicht und bot sich nicht. Ich wurde belehrt. Hernach wurde mir vorgeschlagen, ein Liedchen zu Belafontes Musik zu trällern, ich riss mir die dick gepolsterten Kopfhörer wieder von den Ohren.

Melancholia, Stillleben, Rechakim und A Dangerous Method. Für diese Filme entschied ich mich. Freud hatte nicht recht, und wenn ich groß bin, will ich Cronenberg heiraten und Clooney soll unser Trauzeuge sein. Meine Mutter wird nicht eingeladen.

Materialsammlung II: La captive (Chantal Akerman), Vertigo (Alfred Hitchcock). Die Umsetzung eines Prousttextes ist reizvoll, allerdings reichen mir die eindringlich-schönen Bilder ohne Dialog vollkommen. Der wohlhabende, junge Simon verfällt seiner Sucht, Ariane, die sich ihm subtil entzieht, mit Haut und Haar zu besitzen; das Ausloten einer Obsession, der Widersprüchlichkeit der Liebe, dem Unklaren jenes Schwebezustandes zwischen Zuneigung und dem Grenzüberschreiten; eine Intrusion in intime, nur der Person gehörende Bereiche und das Leiden des Eindringenden, sollte dieses Eindringen keinen gewünschten Erfolg bringen. Die Grenzen zwischen Jagendem und Gejagtem verschwimmen. Die Nachgiebigkeit von Ariane wächst fast zur Aggression, Simon ist letzten Endes auf seine Abhängigkeit zurückgeworfen, denn Ariane mag ihm die Wahrheit sagen oder nicht, egal, wie devot sie seine Wünsche erfüllen mag, behält sie im Endeffekt die Kontrolle über ihr Geheimnis - dessen einziges Geheimnis eventuell ist, dass es vielleicht gar kein Geheimnis darstellt.

Simon, der Beobachtende, begehrt Ariane umso mehr, wenn ihre Augen sich schließen, im Schlaf, da, wo sie am passivsten und verletzlichsten ist. Besonders eindringlich: die wunderbar intime und gleichzeitig sehr einsame Szene im Bad, der bewusst exponierte und dennoch hinter der durchsichtigen Trennscheibe unerreichbar verbleibende Körper Arianes, dessen Konturen der Liebhaber am Glas entlang nachfährt. Die nächtliche Fahrt Simons, der, an Arianes Aufrichtigkeit zweifelnd, sich eine Prostituierte aussuchen möchte. Das Auftauchen der grell geschminkten Gesichter von halbnackten Frauen und Männern im Halbdunkel, verzerrt durch die Autoscheibe wie zuvor die Geliebte im Bad.

Die verwinkelte, düstere Wohnung. Ich mag solche Wohnungen, die ein labyrinthisches Durchstreifen und ein ins Halbdunkel Verschwinden ermöglichen, die Treppenflüchte, das endlose Stiegensteigen, das sich immer wieder durch den Film zieht - hier spürt man Vertigo deutlich. Ein weiteres Zitat: Die Beobachtete beobachtet ein Mädchenbildnis in einer Ausstellung, gibt quasi den Blick, der auf sie gerichtet wurde, weiter, ignoriert ihn, bricht aus der zugedachten Rolle aus.

Besonders langweilig: die artifiziellen Dialoge. Man möchte die ostentativ manieriert dreinsehenden Schauspieler mal so richtig durchschütteln, damit sie ein wenig in Bewegung kommen, am liebsten schrie man ihnen zu: "Das Leben ist keine Vogue-Fotostrecke! Das Leben ist dreckig und voller Entgleisungen!" Insofern könnte man dem gesamten Film genau das vorwerfen, was Simon Ariane gegen Ende vorwerfen wird: einen Hang zur mangelnden Wahrhaftigkeit, eine schöne Pose, bei der man nie sicher sein kann, ob sie nicht doch der Wahrheit entspricht.   (Julya Rabinowich / DER STANDARD, Printausgabe, 20.10.2011)