Laufende Gespräche zwischen Regierung und Medienmachern über Ungarns umstrittenes Mediengesetz: Verlegerpräsident Tibor Kovács.

Foto: STANDARD/Urban

Wien - Die Proteste gegen das umstrittene ungarische Mediengesetz sind abgeflaut. Europa hat andere Sorgen, wie auch viele Menschen in Ungarn. Dort gab es zuletzt Demonstrationen gegen das neue Arbeitsgesetz, vor allem gegen Einschränkungen im Streikrecht. Die Vollversammlung des Internationalen Presseinstituts (IPI) hat allerdings auf ihrer jüngsten Tagung in Taipeh Ungarn explizit - zusammen mit Großbritannien, der Türkei, Südafrika und den Philippinen - aufgefordert, Journalisten besser zu schützen und die Pressefreiheit bedrohende Gesetze zurückzunehmen.

Gummiparagraf

Wie sehen die bisherigen Erfahrungen mit dem ungarischen Mediengesetz aus? Tibor Kovács, Präsident des Ungarischen Verlegerverbandes, berichtet, dass es bisher noch zu wenig Erfahrungen gibt, die eine endgültige inhaltliche Bewertung des Gesetzes erlauben würden. Kovács ist Vorstandsmitglied der linksliberalen Zeitung Népszabadság, die mehrheitlich im Besitz des Schweizer Ringier-Verlages ist. Jüngst nahm er am Masterprogramm des International Media Innovation Management (IMIM) in Wien teil.

Die Népszabadság-Redaktion hat Verfassungsklage gegen das Mediengesetz eingereicht. Für die Printmedien trat es am 1. Juli 2011 in Kraft. Die Hauptkritik betreffe Gummiparagrafen, die der Medienaufsichtsbehörde und auch den Richtern großen Interpretationsspielraum geben, sagt Kovács im STANDARD-Gespräch. Das komme daher, dass die Medienmacher - Herausgeber, Journalisten - nicht in die Formulierung des Gesetzes eingebunden gewesen seien.

Die Gummiparagrafen, die etwa Verstöße gegen das Gemeinwohl betreffen, seien für die Behörden selbst nicht gut, weil sie keine klaren Beurteilungskriterien hätten. Diese sollen in derzeit laufenden Gesprächen zwischen Medienmachern und Regierung definiert werden. "Natürlich wollen wir unsere Interessen verteidigen. Was sind beispielsweise kommentierende Blogs? Wo sind die Grenzen zwischen Fakten und Meinung? Und so weiter." Was neu und bedenklich sei: Nicht nur jemand, der sich persönlich durch einen Medienbeitrag betroffen fühlt, kann klagen, sondern jeder, der meint, durch einen Beitrag würden sogenannte allgemeingültige Werte oder das Gemeinwohl - "wiederum interpretationsbedürftig" - verletzt.

Bewirkt das Gesetz - mit existenzbedrohenden Geldstrafen von bis 90.000 Euro - Selbstzensur bei den Medien, wie Kritiker befürchten? "Es könnte dazu kommen", meint Kovács. Zwar komme Kritik an der Regierung auch im neuen Gesetz nicht als möglicher Verstoß vor, aber wiederum gehe es um die Interpretation dehnbarer Paragrafen. Bisher gebe es aber noch keinen Fall, in dem eine individuelle Klage implizit einen regierungsfeindlichen Medienbeitrag zum Inhalt habe. "Als Herausgeber wollen wir jedenfalls Klarheit", betont Kovács.

Macht absichern

Medienrecht, neue Verfassung, Beschneidung der Befugnisse des Höchstgerichts - Kritiker sehen darin eine Verletzung des europäischen Wertekodex. Kovács bestreitet dies: Wenn man die Verfassung Wort für Wort durchgehe, könne man nichts finden, das gegen europäische Grundwerte verstoße. Zum anderen Verdacht - dass der rechtsnationale Premier Viktor Orbán mit all diesen Maßnahmen seine Macht langfristig absichern und seine Abwahl praktisch unmöglich machen wolle, meint Kovács: "Natürlich möchten sie ihre Position gerne halten, das liegt in der Natur der Macht. Deshalb sind freie Medien so wichtig." (Josef Kirchengast, DER STANDARD; Printausgabe, 20.10.2011)