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Der türkische Präsident Abdullah Gül bei einem Truppenbesuch an der nordirakischen Grenze.

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Cengiz Günay ist Politikwissenschafter und Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik. Die Türkei ist einer seiner Arbeitsschwerpunkte.

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Seit Sommer 2011 geht die Terrororganisation PKK wieder systematisch gegen türkische Ziele vor. Bei einem der schwersten PKK-Angriffe seit Jahren haben am Mittwoch kurdische Kämpfer mindestens 26 türkische Soldaten und Polizisten getötet. Die Türkei reagiert mit militärischer Härte und fliegt Angriffe gegen Verstecke der PKK-Guerilla im Norden Iraks.

Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik erklärt, warum die Türkei nicht anders reagieren kann und warum der Irak fremde Kampfflugzeuge auf seinem Territorium duldet. Während der militärische Konflikt mit der PKK eine neue Intensität erreicht, orientiert sich der Umgang mit der kurdischen Minderheit in der Türkei allerdings immer mehr am Dialog.

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derStandard.at: Wie schätzen Sie die Intensität des "Kurdenkonfliktes" aktuell ein?

Günay: Seit den Sommermonaten kann man von einer Eskalation sprechen. Seit Sommer fielen regelmäßig Militärpersonal, Polizisten aber auch Zivilisten Anschlägen der PKK zum Opfer. Der türkischer Staat reagiert in bekannter Weise mit militärischen Operationen darauf. Diese beinhalten auch grenzüberschreitende Angriffe auf Stellungen im Nordirak, weil sich dort ein wichtiges Rückzugsgebiet der PKK-Guerilla befindet. Die Gewaltspirale hat begonnen, sich wieder zu drehen.

All das passiert zu einer Zeit, in der in der Türkei die Kurdenfrage im Zuge einer Verfassungsreform so offen wie noch nie diskutiert wird. Dafür warum die Türkei nun durch militärische Operationen antwortet gibt es auch klare innenpolitische Gründe. Die türkische Öffentlichkeit erwartet sich eine Reaktion auf die Angriffe der PKK. Der türkische Staat will mit militärischen Operationen Stärke demonstrieren. Eine andere als die militärische Reaktion würde vermutlich in der Bevölkerung als Schwäche ausgelegt und zu Verunsicherung führen. Das ist nicht unbedingt Türkei-spezifisch. Ähnliche Reaktionsmuster waren der "War on Terror" der USA in Folge des 11. September bzw. der Angriff Israels auf den Gaza Streifen. Alles mit mäßigem Erfolg. In Zeiten der Gewaltanwendung radikaler Kräfte haben es Friedensinitiativen allerdings schwer.

derStandard.at: Die Türkei fliegt Angriffe auf fremdes Staatsgebiet. Welche Vereinbarung gibt es mit dem Irak und welche Interessen hat der Irak?

Günay: Die Türkei beklagte, dass sich der Nordirak immer mehr zu einem Rückzugsgebiet für die PKK Guerilla entwickelt hat von wo aus sie operiert. Ankara macht deshalb immer wieder Druck auf die kurdische Autonomieregierung, bzw. auf die USA. Ergebnis war ein Kooperations-Agreement unter Einbeziehung der kurdischen Autonomiebehörden im Nordirak, das bis heute besteht.

Die USA liefern Daten von ihren Satelliten und Drohnen an die Türkei und die kurdische Autonomiebehörde soll zusammen mit der Türkei gegen die PKK vorgehen. Immer wieder beklagt Ankara die mangelnde Bereitschaft der kurdischen Autonomieregierung zu einem rigorosen Vorgehen. Das führt zu Verstimmungen. Die Türkei ist heute der wichtigste Investor in der irakischen Kurdenregion.

derStandard.at: Bei den Angriffen der Türkei im Nordirak kommt es immer wieder zu zivilen Opfern. Warum hört man nichts von der Internationalen Gemeinschaft zum Thema?

Günay: Von zivilen Opfern hört man deshalb relativ wenig weil es sich um eine dünn besiedelte unwegsame Bergregion handelt. Wie viele zivile Opfer den türkischen Operationen tatsächlich zum Opfer gefallen sind ist schwierig festzustellen, auch weil es kaum unabhängige Informationen gibt. Gegen die Operationen selbst gibt es relativ wenig internationale Reaktionen, da in den letzten Jahren auf globaler Ebene allgemein eine wachsende Zustimmung für militärische Operationen gegen terroristische Gruppen zu beobachten ist.

derStandard.at: Welche Rolle spielen die instabilen Verhältnisse im Nachbarland Syrien, das ja auch eine umfangreiche kurdische Minderheit hat? Befürchtet die Türkei eine mögliche Radikalisierung der syrischen Kurden nach einer Umwälzung in Syrien?

Günay: Syrien spielt in den türkischen sicherheitspolitischen Überlegungen sicherlich eine große Rolle und es gibt eine große Angst vor einem Bürgerkrieg in Syrien von dem die Türkei in einem hohen Maße betroffen wäre. Die jüngste Militäroffensive hat meiner Meinung nach aber nichts damit zu tun.

derStandard.at: Hat der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan überhaupt noch Einfluss auf die PKK?

Günay: Öcalan ist sicher die zentrale Symbolfigur des kurdischen Nationalismus. Er hat auch durchaus Einfluss vom Gefängnis aus. Dies geschieht zum Teil mit Duldung der türkischen Regierung. Öcalan lässt durch seine Anwälte immer wieder ausrichten, dass eine friedliche Lösung ohne ihn nicht möglich sei. Innerhalb der PKK gibt es aber auch Unstimmigkeiten. Seit Öcalans Verhaftung fehlt der Organisation eine zentrale Führungsfigur. Die Organisation unterteilt sich in mehrere Fraktionen, die nicht immer einer Meinung sind.

Die jüngsten Angriffe erfolgten durch die bewaffnete Guerilla, es gibt aber auch eine "Stadtorganisation", die für Anschläge verantwortlich ist wie für denjenigen in Ankara vor einigen Wochen. In so einem Konflikt gibt es immer Gruppen, die ein Interesse an der Fortsetzung des Konfliktes haben, auch im türkischen Staatsapparat gibt es solche Kräfte. Sie fürchten, durch eine friedliche Lösung an Bedeutung und Einfluss zu verlieren.

derStandard.at: In welcher Beziehung steht die legale kurdische Partei BDP, deren Vertreter auch im Parlament sitzen, zur PKK?

Günay: Der BDP wir immer wieder vorgeworfen, dass sie sich nicht genügend von der PKK distanziert. Dadurch, dass sie sich als pro-kurdisch deklariert und auf die Wählerschaft in der kurdischen Region angewiesen ist, kann sie das politisch auch gar nicht vollends tun. Es werden ihr aber auch vor allem auf lokaler Ebene organische Verbindungen mit der PKK vorgeworfen. Es gab diesbezüglich eine Verhaftungswelle.

derStandard.at: Die Türkei hat sich aber in der Sache an sich, in der Frage des Umgangs mit der kurdischen Minderheit, in den letzten Jahren weiterbewegt.

Günay: Der Diskurs hat sich sehr stark verändert. Allein schon durch den EU-Reformprozess gibt es viele Verbesserung zu früher. Sprachverbot zum Beispiel wurde aufgehoben, ein muttersprachlicher Unterricht wird zumindest schon im Zuge einer neu auszuarbeitenden Verfassung diskutiert. Im Sicherheitsapparat sowie im bürokratischen und politischen Establishment hat sich mittlerweile die Überzeugung durchgesetzt, dass man die Gewaltspirale durchbrechen muss und dass es dazu politischer Schritte bedarf.

Das Problem ist, dass die Umsetzung eine schwierige ist. Angesichts eskalierender Gewalt scheint es schwierig die eingelernten alten Mustern nämlich ebenfalls mit Gewalt zu reagieren, zu unterbrechen. Es gab vor einiger Zeit eine Kurdeninitiative der türkische Regierung, den Konflikt "anders" zu lösen. Die Initiative war aber schlecht vorbereitet und die Regierung musste einen Rückzieher machen. Gewaltverzicht durch die PKK ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg einer friedlichen Lösung. Solange so viele Tote zu beklagen sind stellt die PKK für viele Menschen ein Feindbild dar. (mhe, 19.10.2011, derStandard.at)