Susanne Hoffmann.

Foto: Prix Europa

STANDARD: Beim Prix Europa geht es um Slow Media. Welche Chancen haben entschleunigte Medien?

Hoffmann: Die Kommunikationsgesellschaft ist offenbar an einem Punkt angelangt, an dem sie sagt: Jetzt ist Schluss mit der aufgeregten Quatscherei über die Verdrängung von Fernsehen und Radio durch das Web. Das hat sich endlich gesetzt. Inzwischen wird erkannt, dass alle diese Medien parallel existieren. Es gibt, von Amerika ausgehend, eine ganz starke Bewegung, die sich für Slow Media einsetzt. Investigativer Journalismus, Langzeitrecherche - das ist etwas für Profis, und dazu braucht es Journalisten. Slow Media heißt einfach, wir fragen nach, wir forschen nach. Die schnelle Nachricht reicht nicht.

STANDARD: Die großen investigativen Leistungen kamen aber von Online-Plattformen. Das hilft dem "alten" Fernsehen nicht unbedingt im Konkurrenzdruck?

Hoffmann: Wikileaks ist in gewisser Weise Slow Media. Da stehen überall Journalisten dahinter, die Geduld, Erfahrung und das Knowhow haben, ganz lang an einer Sache dranzubleiben.

STANDARD: Betrifft Slow Media ausschließlich Aufdeckergeschichten?

Hoffmann: Natürlich nicht. Es lohnt, generell in langfristige Projekte zu investieren. Die Menschen wollen das, und es passiert. Sender sind bemüht, ihr Publikum einzubinden. Es werden Dokumentationen und Spielfilme in mehreren Teilen gemacht, der Erzählstil wird wieder langsamer.

STANDARD: Ein Beispiel?

Hoffmann: Das niederländische Medienprojekt Money and Speed durchleuchtet die Wirtschaftskrise sorgfältig und in allen Schattierungen in Fernsehen und Web und hat damit eine unglaubliche Resonanz. Das norwegische Fernsehen sendete sechs Tage eine Reise mit dem Schiff einmal entlang der norwegischen Fjorde - in Echtzeit. Sie erzielten einen gigantischen Erfolg, ganz Norwegen hing an den Geräten. Wenn man sich klar macht, wie langsam die unterwegs sind - das ist wirklich Slow Media. Wunderschön.

STANDARD: Wer soll diesen Journalismus im Fernsehen finanzieren? Der Rundfunkveranstalter wird sofort nach mehr Gebühren rufen.

Hoffmann: Ich glaube nicht, dass Slow Media teurer ist als Fast Media, sondern dass eine Umverteilung notwendig sein wird. Ich persönlich bin der Meinung, dass bei den Geldern, die für Sportberichterstattung ausgegeben werden, ein Umdenken erforderlich wäre. Dasselbe gilt für Shows, die nicht das öffentlich-rechtliche Profil ausmachen, sondern das machen, was tausende andere kommerzielle Sender zeigen. Bei diesen Mitteln könnte man einsparen.

STANDARD: Kernstück des Festivals ist der Prix Europa: Der ORF ist mit nur zwei TV-Nominierungen unterrepräsentiert. Ein Quailtätsproblem?

Hoffmann: Wir haben, offen gesagt, nicht sehr viele Einreichungen bekommen. Vielleicht ist der ORF noch sehr stark in einer Krise. Vielleicht ist da heute noch sehr viel Energie auf die Frage gerichtet: "Wie geht's mit uns weiter?" (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 19.10.2011)