Rochna erfindet eine Welt aus Papier und Popcorn.

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"Es ist die ideale Leinwand für moderne Nomaden. Eine Hülle, die zwangsläufig kleine Spuren unserer Identität aufsaugt", sagt Christoph Rochna über Papier als Trägermaterial von Geschichten. Und fairerweise erwähnt der 35-jährige Produkt- und Industriedesigner auch gleich, wer ihm bei dieser Interpretation geholfen hat: "Meine Freundin beschäftigte sich in ihrer Diplomarbeit mit Identitätsfindung von Migranten der zweiten Generation - da las ich trotz völlig anderer Thematik auch Parallelen für meine Arbeit heraus."

Seit seinem Studium in Australien versucht Rochna, Papier als alternativen Werkstoff für Alltagsgegenstände einzusetzen. Zuallererst konstruierte er Sitzmöbel aus Wellpappe, die für große Events gedacht waren. Beabsichtigter Nebeneffekt: Die Rastenden sollten darauf Spuren ihrer Identität hinterlassen - etwa in Form von Zeichnungen oder auch nur durch Wein- oder Kaffeeflecken.

Wurden die Möbel später nicht mehr gebraucht, konnten sie genau so einfach wie Pappteller im Altpapiercontainer entsorgt werden. "Das große Problem war damals aber die mangelnde Stabilität. Für die Veranstalter ergaben sich dadurch auch lästige Haftungsfragen", kommentiert Rochna erste Gehversuche mit recyclebaren Sitzgelegenheiten. Vor 14 Monaten wagte er dennoch einen weiteren Versuch.

Es entstand ein Sitzsack, der, mit Popcorn befüllt, auf Veranstaltungen verwendet und danach einfach kompostiert wird. Grundlegend geändert haben sich in der Zwischenzeit nämlich die Möglichkeiten für Kombinationen von Materialien. Im Rahmen eines Förderprogramms der Technologieagentur der Stadt Wien (ZIT) versuchte Rochna daher, einen Verbundstoff zu finden, der mehreren Anforderungen genügt: In den Parametern Festigkeit, Feuchtigkeitsresistenz und Haptik sollte er genauso abschneiden wie Leder oder Kunststoff.

Rochnas Team vertraute dabei auf das detektivische Gespür von Mitarbeitern eines multinationalen Papierkonzerns. "So ist aus vorhandenen Produkten letztlich ein völlig neues mit veränderter Beschaffenheit entstanden", erklärt Rochna. "Entdeckt" wurde bei dieser Kooperation ein langfasriges, papierähnliches Viskosevlies mit gleich mehreren Vorteilen: Reißt eine Faser, bleiben umliegende intakt - die gesamte Struktur ist also stabil. Zudem ist der Werkstoff wasserfest und dennoch kompostierbar, weil zum Verkleben der Einzelteile nur organische Stärke verwendet wird.

Mit diesem Material in den Händen suchte Rochna nach weiteren Anwendungsmöglichkeiten. Zusammen mit drei Gesellschaftern gründete er Papernomad, eine Firma, die nun Hüllen für Laptops, Mobiltelefone und andere elektronische Geräte aus dem Verbundmaterial herstellt. Gerade bei tragbaren Produkten sieht Rochna den Bezug zur Persönlichkeitsstiftung und die ureigenste Funktion von Papier verwirklicht: "Das Dokumentieren der eigenen Persönlichkeit ist ein emotionales Bedürfnis. Umso mehr für eine Generation, die sich zunehmend in einer digitalen Welt verliert", glaubt der Designer.

Und obwohl sein sechzehn Monate alter Prototyp eines Visitenkartenetuis noch immer völlig intakt ist, ergänzt er: "Wer braucht schon eine Tasche, die zehn Jahre lang hält, wenn der Inhalt ohnehin nach zwei, drei Jahren ausgetauscht wird." (DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2011)