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Nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dienstag dürfen menschliche embryonale Stammzellen nicht für die wissenschaftliche Forschung patentiert und vermarktet werden.

Foto: REUTERS/Alan Trounson/California Institute for Regenerative Medicine

EU-Wissenschafter fürchten mittelbare Folgen für die Forschung, da Anwendungen unmöglich würden.

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Ende September erst gab es zum ersten mal so etwas wie eine kleine Erfolgsmeldung bei der klinischen Anwendung von humanen menschlichen Stammzellen (ES) in Europa: Zum ersten Mal wurde einer Klinik außerhalb der USA gestattet, diese "Alleskönner" in Menschen einzusetzen. Ärzte an einem Londoner Krankenhaus wollen damit an zwölf Patienten testen, ob sich die bisher unheilbaren Krankheit Morbus Stargardt therapieren lässt.

Zunächst einmal sollte geprüft werden, ob die Verwendung von solchen Ersatzzellen für die Netzhaut sicher sei, teilten das US-Biotechnologieunternehmen Advanced Cell Technology (ACT) und das Londoner Moorfields Eye Hospital mit. Langfristig und grundsätzlich erhoffen sich die Forscher, mit der Hilfe von ES Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer, Parkinson oder Rückenmarkverletzungen heilen zu können.

Embryonale Stammzellen sind noch nicht auf eine bestimmte Aufgabe festgelegt und können damit prinzipiell zu allen Zelltypen werden. Deshalb sind sie für die Forschung und Medizin bei der Behandlung von Krankheiten so wertvoll. Ihre Nutzung ist aber umstritten, weil sie aus frühen Embryonen stammen, die bei der Gewinnung zerstört werden - im Normalfall handelt es sich um Zelllinien, die bei künstlichen Befruchtungen "übrig bleiben".

Ob es in Europa zur Entwicklung entsprechender Therapien mit ES kommen wird, darf nach einem Grundsatzurteil des Europäische Gerichtshof in Straßburg von Dienstag früh bezweifelt werden: Der entschied nämlich, dass ES nicht für Anwendungen nicht patentiert und vermarktet werden dürfen. Wenn für deren Gewinnung Embryonen zerstört würden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde.

Hintergrund der Klage war ein Streit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle, der Inhaber eines 1997 angemeldeten Patents für nervliche Vorläuferzellen ist. Diese werden zur Behandlung von Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose erprobt. Die Vorläuferzellen, aus denen sich dann Nervenzellen bilden, stellt Brüstle aus embryonalen Stammzellen her.

Auf Klage von Greenpeace hatte das Bundespatentamt dieses Patent wegen ethischer Bedenken aufgehoben und auf den Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens verwiesen. In nächster Instanz war der Bundesgerichtshof mit der Frage befasst, der die Sache nach Luxemburg verwies, wo man zu dem strengen Urteil kam. Was es allerdings ganz genau bedeutet, darüber waren sich österreichische Experten wie Christiane Druml, die Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission, oder Meinrad Busslinger, Stammzellforscher am IMP in Wien, nicht ganz einig, zumal der vollständige Urteilsspruch noch nicht vorlag.

Greenpeace erwartete jedenfalls in einer ersten Stellungnahme, dass das Urteil nur begrenzten Einfluss auf die Stammzellforschung haben wird: "Forscher haben in den vergangenen Jahren verschiedene Möglichkeiten gefunden, geeignete Stammzellen herzustellen, ohne menschliche Embryonen zu zerstören." Dennoch sagte Christoph Then von Greenpeace, dass das Urteil europäische Rechtsgeschichte schreibe. Der Gerichtshof habe den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen deutlich gestärkt.

Naturgemäß anders sieht Oliver Brüstle das Urteil - und zwar in zweierlei Hinsicht: Es sei zum einen "ein ganz schlechtes Signal für die Wissenschafter in Europa"; Anwendungen mit ES müssten nun woanders stattfinden. Außerdem seien bereits angemeldete Patente aus Schweden oder Großbritannien nun wertlos. Zum anderen bedeute das Urteil auch eine Stigmatisierung dieses ganzen Forschungszweigs: "Im Grunde geht es nicht um das konkrete Patent, sondern um ein weitreichendes Signal: Was ihr macht, das ist nicht moralisch." (tasch, dpa/DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2011)

=> Stichwort: Embryonale Stammzellen

Embryonale Stammzellen

Mit Stammzellen vom Menschen wollen Mediziner in Zukunft einmal schwere Krankheiten heilen und die Funktion geschädigter Organe wiederherstellen. Embryonale Stammzellen sind noch nicht auf eine bestimmte Funktion spezialisiert, können sich unentwegt weiter teilen und im Körper noch zu mehr als 200 verschiedenen Gewebesorten heranwachsen.

Sie können beispielsweise aus Embryonen gewonnen werden, die bei künstlichen Befruchtungen übrig bleiben. Die in Befruchtungskliniken - etwa in den USA - lagernden Embryonen werden aufgetaut und wachsen im Labor einige Tage lang heran. Daraus werden die embryonalen Stammzellen entnommen. Der Embryo wird dabei zerstört.

Die Wissenschafter forschen weltweit insbesondere an der Programmierung dieser Stammzellen. Der Bonner Neurobiologe Oliver Brüstle etwa hat aus embryonalen Stammzellen nervliche Vorläuferzellen entwickelt, die vielleicht einmal zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose eingesetzt werden könnten.

Die Herstellung von menschlichen embryonalen Stammzellen ist in Deutschland verboten, es darf aber in Ausnahmefällen an ihnen geforscht werden. Brüstle hat als erster deutscher Forscher 2002 eine Genehmigung zur Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen erhalten - zur "Gewinnung und Transplantation neuronaler Vorläuferzellen". Inzwischen gibt es rund 70 Genehmigungen.