Auch dem Gemälde von Kasimir Malewitsch (1912) wäre die Nachbarschaft etwa zu niederländischen Winterlandschaften des frühen 19. Jahrhunderts gut bekommen.

Foto: Guggenheim-Museum, New York

Wien - Rotblau gefroren sind die Wangen der frischgebackenen Gottesmutter. Dem nackten Knäblein scheint die bittere Kälte, von der die Eiszapfen am schneebedeckten Dach erzählen, aber nichts anzuhaben. Mitte des 15. Jahrhunderts begann man die religiösen Feste, wie etwa Christi Geburt, die das Abendland in der kalten Jahreszeit beging, auch im winterlichen Kleid darzustellen. Sichtlich fröstelt jedoch niemand - weder beim Meister der Münchner Marientafeln 1450 noch 1520 bei Albrecht Altdorfer, wo Schneestäubchen wie harmlose Wölkchen die Landschaft betupfen.

Lange zeigte sich der Winter, der raue Zeitgenosse, in Kalender- oder Monatsdarstellungen als alter Mann im Pelz, der sich die Hände am Feuer wärmt: so wie der Alte mit der roten Nase (David Tenier der Jüngere, um 1644) oder der mit großer psychologischer Tiefe dargestellte Greis des Barockporträtisten Joachim von Sandrart.

Erst - und vielleicht kein Zufall - zur Zeit der "kleinen Eiszeit" Mitte des 16. Jahrhunderts entstand die Winterlandschaft als eigenständiges Motiv; darunter die beliebten Darstellungen vom bunten Treiben auf dem Eis, für das Niederländer wie Bruegel der Ältere und Avercamp berühmt sind.

Der kargen Jahreszeit widmet das Kunsthistorische Museum eine ihrer umfassendsten (180 Kunstwerke) Sonderschauen seit langem: Für Wintermärchen hat Kurator Ronald de Leeuw, ehemaliger Direktor des Amsterdamer Rijksmuseums, Winter-Darstellungen der europäischen Kunst von Bruegel bis Beuys quer durch alle Gattungen zusammengetragen. "Winterreise" wäre angesichts der kunsthistorisch weiten Wanderung und der mit dem Realismus einsetzenden winterlichen Härte treffender gewesen.

Die Leihgeberliste (von Tate bis Guggenheim) liest sich tatsächlich wie ein Märchen: Sogar die englische Königin borgte zwei Rubens, bestaunenswert. Aber die zwei Ausreißer, Joseph Beuys und Anselm Kiefer, mit denen man die Schau über den Ersten Weltkrieg hinaus verlängerte, sind im Rahmen einer Chronologie nur Gegenwartsalibis. Thematisch hätte man sie viel sinniger platzieren können: Beuys' Rodel mit Filz und Fett etwa bei den jämmerlich erfrorenen Soldaten von Boissard de Boisdennier (1835); Kiefers Berg im Dialog mit Wüests Rhonegletscher (1775). Oder um nur ein weiteres von vielen möglichen Beispielen zu geben: Warum nicht den mit dicken Schneeflocken gesprenkelten Valckenborch (1586) neben den Impressionisten? Herrlichstes, fade präsentiert. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe 18. Oktober 2011)