Unaufgeregt ist der Politikstil von Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ), manche meinen auch langweilig. Jedenfalls darf man annehmen, dass er nicht in erster Linie die ÖVP provozieren will, wenn er fordert, künstliche Befruchtung auch homosexuellen und alleinstehenden Frauen zu ermöglichen. Er hat im Standard einen Testballon mit einer Forderung steigen lassen, die innerhalb der SPÖ längst mehrheitsfähig ist. Den Koalitionspartner bringt Stöger dennoch ordentlich in die Bredouille.

Aus schwarzer Sicht öffnet sich mit der Diskussion darüber, wem der Staat "erlauben" soll, Kinder zu haben, regelrecht die Büchse der Pandora: Wenn Lesben auf künstlichem Weg schwanger werden dürfen, kann man dann Schwulen weiterhin die Adoption verwehren? Soll man Frauen von Gesetzes wegen diktieren, wann der richtige Zeitpunkt für ein Kind ist? Wo darf man die medizinischen Möglichkeiten ausreizen, wo sind die ethischen Grenzen der Reproduktionsmedizin? Und über all dem schwebt die ziemlich heikle Frage: Wie stellt sich die Politik Familie vor?

Gerade von einer selbsternannten Familienpartei sollte man erwarten, dass sie darauf Antworten parat hat. Irgendwo in einer Schublade müsste doch ein Papier liegen, auf dem steht, wie die ÖVP es mit dem künstlichen Kinderkriegen halten will, oder zumindest müsste es irgend einen Strategen geben, der sich dazu rasch etwas ausdenkt. Diese Position kann dann gut finden, wer mag, aber es wäre zumindest eine.

Das Gegenteil ist der Fall: Man warte auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dann werde man weiterreden, heißt es aus dem Familien- und Justizministerium. Die Straßburger Richter entscheiden im November über eine Klage von zwei heterosexuellen Ehepaaren, es geht um die in Österreich verbotene Eizellenspende. Mit dem (gesellschaftspolitischen) Vorstoß Stögers hat das (medizinisch relevante) Urteil also überhaupt nichts zu tun. Im besten Fall spielt die ÖVP also auf Zeit, im anzunehmenden schlimmsten Fall will sie am liebsten überhaupt nicht über das Thema reden.

In schöner Regelmäßigkeit ruft uns die Volkspartei in Erinnerung, dass sie sich mit der häuslichen Realität des 21. Jahrhunderts nicht so recht anfreunden kann. Längst existiert Familie in den unterschiedlichsten Konstellationen - wenn es aber darum geht, dafür die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, wird herumlaviert und blockiert, solange es geht. Man denke nur an die leidige Debatte über die eingetragene Partnerschaft, die unter anderem damit geendet hat, dass "verpartnerte" Homosexuelle keinen Bindestrich zwischen ihrem Doppelnamen führen dürfen; quasi die Satzzeichen gewordene Kleingeistigkeit. Oder an das Theater, das Lokalpolitiker aufführen, wenn man ihnen vorschreiben will, ihre Kindergärten länger offenzuhalten, weil es - wer hätte das gedacht! - auch außerhalb von Städten Vollzeit-berufstätige Eltern gibt.

Nun sind es eben die Richter des EGMR, die als Ausrede herhalten müssen. Ziemlich praktisch für die ÖVP: Es erfordert kein parteistrategisches Hirnschmalz, sich an einem Urteil aus Straßburg zu orientieren, und es liefert ein Totschlagargument für jede Debatte. Familienpolitik entlang von Gerichtsurteilen - ein schlimmeres Eingeständnis von Visionslosigkeit gibt es gar nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2011)