Foto: LHC

 

Hektisch über Kontrollschirme tanzende Messdaten und große, an knallbunte Computergrafiken erinnernde Projektionen nehmen auf der Frankfurter Buchmesse einen Stand ein, der weitum von ernsthafter, zwischen Buchdeckeln bleibenden Wissenschaftsliteratur gewidmet bleibt. Hier steht eine reale Kopie des Control Rooms im Forschungszentrum Cern bei Genf. Die Daten bilden in Echtzeit ab, wie im riesigen Teilchenbeschleuniger LHC die Wasserstoffkerne aufeinanderprallen, um der Wissenschaft Erkenntnisse über den Anfang der Welt zu verschaffen.

"Das ist das größte Experiment in der Geschichte der Menschheit", sagt Lois Lammerhuber, der österreichische Verleger und Fotokünstler, mit kaum zu bremsender Begeisterung. Er hat sich mit dem Cern-Chef Rolf-Dieter Heuer zusammengetan, um einen großformatigen Prachtband mit dem Understatement-Titel Das Buch LHC zu produzieren.

Kernstück sind die Bilder des Geo- und National Geographic-Fotografen Peter Ginter, der die Aktivitäten des Cern mehr als 15 Jahre lang verfolgt hat.

Das 64 Euro teure Buch, das in 60 Ländern publiziert wird, soll noch 20 Jahre erhältlich sein, solange das LHC-Project dauert. "Dann bin ich 80", sagt Lammerhuber. "Ich finde es fantastisch, was die für einen Glauben an sich haben." Der Verleger möchte im Zeitalter der E-Books mit künstlerischem Anspruch aufwarten. Schließlich könne man das kreative Experiment der Urknall-Maschine mit den Werken von Picasso oder Leonardo da Vinci vergleichen. Lammerhubers Projekt geht aber weit über das Buch hinaus. So komponierte Ralf Schutti zur digitalen Animation der Bilder eigens eine Musik, die bei der Ars Electronica in Linz aufgeführt worden ist.

Im nachgebauten Control Room erklären echte Cern-Operators Buchmessebesuchern mit verblasstem Physikwissen anhand von iPad-Fotos und -Grafiken die Funktionsweise des Teilchenbeschleunigers. Die Frage, ob die Vorgänge im "Large Hadron Collider" für Laien überhaupt fasslich dargestellt werden können, bejaht Michael Hauschild, am Donnerstag Dienst habender Cern-Physiker. Er bestätigt indirekt die Vermutung, dass das Projekt eine Antwort auf die Fundamentalkritiker ist, die Cern vorgeworfen haben, den Weltuntergang heraufzubeschwören: Der LHC sei eine von vielen Staaten finanzierte "Weltmaschine", man sei bemüht, die Leistungen besser an die Öffentlichkeit zu bringen.

Als Fährtensucher für die Nichtphysiker schickte Lammerhuber den Dichter Franzobel ins Cern, weil der "vor nichts Angst hat und ein goscherter Hund ist".

Zuerst verschlug es ihm schon die Rede, wie Franzobel im Buch schreibt. Es gebe etwas von Menschen Geschaffenes, das größer als seine Sprache sei. Später erfing er sich und zog Vergleiche zwischen dem Teilchenbeschleuniger und dem "Elementarereignis" eines Schweizer Käse-Fondues.   (Erhard Stackl aus Frankfurt / DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2011)