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Die Frankfurter Buchmesse verführt die Jugend zum Lesen. Im digitalen Zeitalter wird das nicht leichter.

Foto: Torsten Silz/ AP

Zu Sphärenmusik zuckte ein Leuchten über die Leinwand im Festsaal der Frankfurter Buchmesse, als stünde das Nordlicht über dem isländischen Gletscher Eyjafjallajökull. Doch was die Zuseher als avantgardistische Einstimmung auf das diesjährige Gastland der Buchmesse zu akzeptieren bereit waren, stellte sich als technischer Fehler heraus, wie Messedirektor Jürgen Boos zugab.

Danach mischte die Präsentation des Literatenparadieses Island Tiefschürfendes zur nordischen Kulturgeschichte mit Bezügen zur krisengeschüttelten Gegenwart. "Es ist nie einfach gewesen, in diesem Land zu wohnen", sagte der isländische Autor Arnaldur Indriðason. Mit seiner rauen Natur sei die abseits gelegene Insel dennoch ein "idealer Wohnort für Poeten" .

Indriðason, der Krimis mit Titeln wie Nordermoor und Frostnacht verfasst, erinnerte an die "einzigartigen" Sagas aus dem Mittelalter. Eine Handschrift wie der Codex Regius würden solche Weisheiten bergen, dass sie kein Buch seien, sondern "ein Kopf, der auf den Schultern der Menschheit ruht".

Nach dem Zusammenbruch der isländischen Banken sieht Indriðason in der Kunst eine Chance, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Darin verberge sich ein Wert, "der Bestand hat im Angesicht von Luftschlössern der Habsucht". Die Autorin Guðrún Eva Mínervudóttir stellte Island als "Gesellschaft von Bauern und Jägern" vor. Diese seien überzeugt, "dass es sich bei Banken um Zauberlabore handelt, die aus Luft Geld machen", sagte Mínervudóttir, zwei Kilometer von der Frankfurter Zentrale der Europäischen Zentralbank entfernt, wo derzeit der sieche Euro beatmet wird.

Acht Bücher kauft ein durchschnittlicher Isländer pro Jahr, wiederholte Mínervudóttir den auf der Buchmesse derzeit allenthalben zu hörenden Spruch. In ihrem heuer erschienenen Buch Der Schöpfer geht es um einen Sexpuppen-Produzenten. Schräge Ansätze gehören durchaus zu den isländischen Büchern, von denen zur Messe 230 neu auf Deutsch herausgekommen sind.

Für den deutschsprachigen Markt erhofft sich die Branche Rückenwind im Sturm der Krise. "Wenn die Aktienkurse in den Keller rauschen, steigt der Wert der Literatur", titelte die Zeit in ihrer Beilage zur Buchmesse. Doch die Realität hält damit nicht Schritt. Zum krisenbedingten Verkaufsrückgang kommt die Digitalisierung. "In Deutschland werden zurzeit 60 Prozent der genutzten elektronischen Bücher illegal herunter geladen", sagte Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Der Feind hat nun einen Namen: die Piratenpartei. Nach knapp neun Prozent bei den Berliner Wahlen hätten die Netzaktivisten, die das Urheberrecht abschaffen wollten, in Deutschland bundesweit ähnliche Chancen. Honnefelder wandte sich an die deutsche Regierung, die das geistige Eigentum gegen solche Angriffe schützen müsse.

Buchmessedirektor Boos spielte, wie im Krimi, dazu den Good Cop. Das Internet sei eh super, Fangruppen und Pinnwände entwickelten sich online zum "literarischen Salon". Allerdings brauche man "neue Formen des Copyrights, denn die Autoren leben nicht von Leidenschaft allein."

Ähnlich klang es am Mittwoch im Wiener Café beim österreichischen Gemeinschaftsstand von 35 der 158 ausstellenden Verlage aus der Alpenrepublik. Während Marlene Streeruwitz vorbeischaut, die mit ihrem Roman Die Schmerzmacherin den deutschen Buchpreis laut Insidern nur knapp verfehlt hat, erzählt Gerald Schantin von der schwierigen Lage der Branche. Nach Zuwächsen 2010 habe es heuer bis September einen Rückgang um vier Prozent gegeben, sagte Schantin, der dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels vorsteht. Bis zum Jahresende könne da vielleicht noch etwas gut gemacht werden, hofft Schantin.

In Frankfurt strengt man sich noch bis Sonntag gehörig an, das Buch ins Gespräch zu bringen. Kaliber wie Umberto Eco und Mario Vargas Llosa haben sich angesagt. In Diskussionsforen geben sich Rivalinnen wie Alice Schwarzer und Charlotte Roche die Klinke in die Hand. "Die Welt ist ein interessanter Ort", sagt die isländische Autorin Guðrún Eva Mínervudóttir.   (Erhard Stackl aus Frankfurt   / DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2011)