Lyrischer Sopran und Powerfrau: Annemarie Kremer singt am Samstag die Salome an der Wiener Volksoper.

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Wien - Der Ersteindruck: was für eine Powerfrau. Konzentriert, schnell, geradeheraus, aufgeladen mit Energie. Optisch an die deutsche Schauspielerin Hannelore Elsner erinnernd, wenn diese denn Sängerin einer Rockband geworden wäre.

Sind das gute Voraussetzungen für eine Salome-Interpretin? Strauss' Musik ist so großartig wie das Libretto von Oscar Wilde, sie ist schrill, gefährlich, verführerisch, mächtig. Ist auch Salome so maßlos fordernd und begehrend?

Richard Strauss hat ja davor gewarnt, Salome als Nymphomanin zu sehen und gesagt, dass sie "als keusche Jungfrau, als orientalische Prinzessin nur mit einfachster, vornehmster Gestik gespielt werden darf, soll sie mit ihrem Scheitern an dem ihr entgegentretenden Wunder einer großen Welt statt Mitleid nur Schauder und Entsetzen erregen".

Ist das so, Frau Kremer? Ist Salome eine Unschuldige in einer verdorbenen Welt? Annemarie Kremer bejaht. "Es ist vielleicht eher eine weibliche Sicht auf die Rolle, die ich mit der Regisseurin dieser Inszenierung, Marguerite Borie, teile. Vielleicht wurde die Deutung der Rolle in der Vergangenheit zu sehr von Männerfantasien geprägt. Aber Salome hat diesen Wunsch nach einer reineren Welt, und die erkennt sie in Jochanaans Stimme. Zuerst berühren sie seine Worte, dann erst macht sie sein Körper an. Aber Jochanaan ist extrem, er behandelt sie ganz furchtbar. Wenn er etwas offen gewesen wäre, ihr zugehört hätte, dann wäre sie gar nicht so verrückt geworden vor Begierde nach seinem Körper, nach ihm."

Ein Energiebündel

Die Volksoper hat die Partie für diese Inszenierung international ausgeschrieben und sich für die Holländerin entschieden - aufgrund ihrer Ausdruckskraft. In der Tat ist Kremer auf der Bühne ein Energiebündel von fast turnerisch-physischer Präsenz. Sie lebt, liebt, empfindet für zwei: "Ich gebe mich einer Rolle wirklich sehr hin. Während einer Aufführung fühle ich mich, als ob ich von einer Welle dahingetragen werde bis zum Ende. Man darf sich aber nicht auf Dauer zu viel verausgaben, das habe ich im Lauf der Zeit gelernt, etwa bei Partien wie Tosca oder Madame Butterfly."

Kremers Sopran besitzt enorme Durchschlagskraft und Intensität. Dabei hat sie als lyrischer Sopran begonnen, sich aber mehr und mehr ins dramatische Fach eingearbeitet.

"Mein Timbre ist wärmer geworden, dunkler, und ich habe einfach Lust, viele verschiedene Rollen zu gestalten. Meistens weiß ein Sänger doch, was gut für ihn ist. Ich würde jetzt auch keine Brünnhilde singen wollen. Aber leider wird eben oft über den Kopf eines Sängers bestimmt, was er singen soll." In Opernensembles? Kremer hat ihre Karriere vor anderthalb Jahrzehnten in Aachen und Detmold begonnen. "Ich habe da sehr viel gelernt. Aber dann wollte ich meine eigenen Wege gehen."

Extra Bauchtanz gelernt

Richard Strauss habe, sagt Kremer, in der Partitur seiner Salome -Dirigate an der Wiener Staatsoper notiert, dass die Salome beim Schlussgesang an der Rampe stehen soll. Ist das bei der Inszenierung von Marguerite Borie auch so? "Nein." Etwas bedauert sie in der Inszenierung auch noch: "Der Tanz der sieben Schleier wird von mir selbst getanzt - aber nicht auf orientalische Weise, sondern stilisiert, mit kleinen Gesten. Schade eigentlich! Ich tanze sehr gern, und wie ich wusste, dass ich Salome machen werde, habe ich noch extra Bauchtanz gelernt!"

Die Frage, ob sie ein Vorbild für ihre erste Salome habe, verneint Kremer: "Ich schätze Authentizität sehr hoch ein. Es ist für das Publikum doch am interessantesten, wenn man etwas Neues bringt. Wenn man sich selber einbringt in eine Rolle."

Was sie mit aller Kraft tun wird.  (Stefan Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2011)