Neu-Delhi/Wien - "In einer kalten Winternacht sitzt du gemütlich unter einer Decke, während wenige Minuten entfernt ein Gleichaltriger ohne Mittel obdachlos ist, ohne Schutz vor Krankheit oder Missbrauch. Wenn du noch immer gemütlich zu Hause sitzt", schreibt Diksha Langthasa, "dann nennt man diese Gemütlichkeit Gleichgültigkeit." Die Studentin äußert auf der Webplattform Youth Ki Awaaz ihren Wunsch nach Wandel. Doch genauso groß wie dieser Drang der Jugend Indiens erscheinen auch Hindernisse auf diesem Weg.

Zwar kann sich die größte Demokratie der Welt einer rapiden wirtschaftlichen Entwicklung erfreuen, dennoch beeinträchtigen Überbevölkerung, Armut, Korruption und Diskriminierung die Lebensqualität. Das unkontrollierte Wachstum benachteiligt auch einen Großteil der jungen Generation. Auch hat Indien schon seit langem mit einem zwar offiziell abgeschafften, aber scheinbar unerschütterlichen Kastensystem zu kämpfen. Eine neue, umstrittene Filmproduktion Bollywoods übt entsprechende Gesellschaftskritik: Aarakshaan bedeutet "Reservierung" und wurde in einigen Bundesstaaten von der Kinoleinwand verbannt. Bezug nimmt der Name auf das umstrittene Quotensystem für öffentliche Ämter und Bildungseinrichtungen, das Reservierungen von insgesamt 50 Prozent für drei Gruppen (benachteiligte Kasten, Stämme und andere rückständige Klassen) vorsieht.

Ohne Quotenplätze hätten viele junge Inder - meist Dalits ("Unberührbare") und die kastenlosen Ureinwohner Indiens (Adivasis) - keine Chance auf Weiterbildung und Karriere. "Die Reservierungen sind auf jeden Fall notwendig. Das Problem ist nur: Sie basieren auf Kastenzugehörigkeit", kritisiert Anshul Tewari, Gründer von Youth Ki Awaaz Denn so gut die Quoten auch gemeint sind, sie verfehlen in einigen Fällen ihren Zweck: So sind viele Angehörige tendenziell ärmerer Kasten zu Vermögen gekommen, werden aber trotzdem durch das Quotensystem vor Studenten aus höheren Kasten, aber mit geringeren finanziellen Mitteln bevorzugt.

Quoten kategorisieren stark

Kritikpunkte sieht auch Sarah Habersack, die in Wien Internationale Entwicklung studierte und für ihre Magisterarbeit vier Monate lang im indischen Pune das Alltagsleben der Jugend erforschte. "Das grundlegende Problem ist, dass man einerseits das Kastensystem abschaffen will, aber andererseits eine Quote einrichtet, die sich nach Kasten richtet." So werde stärker kategorisiert, was für die Auflösung derartiger Strukturen kontraproduktiv ist. Und mit Quoten an Unis sei nicht allen geholfen. So werden laut The Times of India nur sieben Prozent der 27 Prozent reservierter Plätze für die Gruppe der "anderen rückständigen Klassen" in Anspruch genommen. Das Problem sind Ungleichheiten im Schulsystem, Hürden, wegen derer viele nicht einmal zum Schulabschluss kommen.

Indiens Hochschullandschaft weist einige Top-Unis auf, unter anderen die Delhi School of Economics oder die Jawaharlal Nehru University. An Letzterer war Christiane Hartnack, Leiterin des Fachbereichs Interkulturelle Studien der Donau Uni Krems, Gastprofessorin. Sie erklärt: "Mit diesen Einrichtungen können nur wenige in Europa konkurrieren." Erschwernisse seien aber zum einen Ablehnungsquoten von zirka 95 Prozent, die nur wenigen gute Ausbildung zugänglich machen, und zum anderen die Konkurrenzsituation, die dadurch entsteht.

Jugend will gehört werden

Wie vieler seiner Altersgenossen wollte auch Tewari seiner Kritik Gehör verschaffen. Der junge Journalist und Social-Media-Experte schrieb während seiner Studienzeit regelmäßig auf seinem Blog Youth Ki Awaaz ("Stimme der Jugend"). Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Blog zu einer der meistgelesenen Jugendplattformen Indiens, mit bis zu 600 aktiven Autoren.

"Indiens Medien und Politiker sind so stark mit finanziellen und geldpolitischen Themen beschäftigt, dass sie auf das Fundament der Gesellschaft vergessen, nämlich auf uns", schildert Tewari. Auch auf der Internetplattform nimmt man Stellung zur Reservierungspolitik. Quoten, die auf finanzielle Verhältnisse Rücksicht nehmen, wären die Lösung. Die jetzige Politik, heißt es, "macht nichts anderes, als unsere Gesellschaft in einzelne Sektionen zu spalten". (Sara Mansour Fallah, UNISTANDARD, Oktober 2011)