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Ein wenig, nur geliehenes, Geld in die Hände von Frauen gelegt und die Dritte Welt kann sich ändern: Ein wenig mehr Gleichberechtigung, ein wenig weniger Armut?

Bild von einer Frauendemo in Hyperabad gegen die Einschüchterungen, Drohungen und Belästigungen der KrediteintreiberInnen von Mikrofinanzbanken.

Foto: AP/dapd/Mahesh Kumar A.

Hilfe zur Selbsthilfe gegen Armut und Frauenempowerment waren die wichtigen Ziele, die über das System der Mikrofinanzierung in Entwicklungsländern erreicht werden sollten. Den Menschen, vor allem den Frauen, die von herkömmlichen Banken als nicht kreditwürdig eingestuft wurden, sollte über Kleinstkredite die Möglichkeit geboten werden, an der Geldwirtschaft teilzuhaben. Dieser Ansatz trat vor zwanzig Jahren seinen Siegeszug um die Erde an, verbreitete sich von Bangladesch bis nach Südosteuropa, Südamerika, Afrika. 2005 riefen die Vereinten Nationen das Jahr der Mikrofinanz aus, 2006 erhielt der Mikrofinanzbank-Pionier Muhammad Yunus den Friedensnobelpreis; die Weltbank, die Europäische Investitionsbank, Bankinsitute und Investoren weltweit - alle wollten sie helfen.

Sparen, Ausleihen, Investieren

Mikrofinanz kennt nicht nur eine Form: Es gibt Dorfbanken, Solidaritätsgruppen, "linkages", Spargenossenschaften und letztlich Banken. Nur die letzte Variante ermöglicht es den KreditnehmerInnen, individuelle Verträge auszuhandeln; die anderen setzen die Bildung einer Spargemeinschaft voraus. Gerade darin wurzelt der 2006 Friedensnobelpreis-gekrönte Ansatz, den Yunus im ruralen Bangladesch umsetzte: Erst verlieh er Kleinstsummen aus seinem Privatvermögen und verlangte dafür Bürgschaft. Später schlossen sich Frauen in Gruppen zusammen, um genügend "Einsatz" zusammen zu bekommen, damit jede von ihnen einen kleinen Kredit mit kurzer Laufzeit bei Yunus' 1983 gegründeter Grameen Bank* aufnehmen konnte. Das geliehene Geld war zweckgebunden: Die Frauen mussten es investieren, nicht verkonsumieren. Sie konnten Saatgut kaufen, Hühner, einen Karren, mit dem sie ihr selbstangebautes Obst zum Markt im Ort transportieren konnten. Sie wurden Unternehmerinnen.

Echte KundInnen

Die Tilgung der Kredite funktionierte einwandfrei: Weniger als ein Prozent bezahlte ihre Schulden nicht zurück. Warum? Weil der soziale Druck innerhalb der Spargruppe groß ist. Das Motto lautet: Mitgehangen, mitgefangen. Ließe eine bei einer Rückzahlungsrate aus, müsste eine andere einspringen. Gegenseitige Verantwortung und das Vermeiden von Gesichtsverlust in der Gemeinschaft sind hier die immanenten Kontrollmechanismen. Nur: Das mit der Verantwortung gegenüber der Gruppe wurde vor allem in infrastrukturell weniger benachteiligten Gebieten wie Städten bei den KreditnehmerInnen gerne gegen die individuelle Verpflichtung gegenüber einer Bank getauscht. Sie wurden echte KundInnen. Und die Banken wurden echte Unternehmen.

For- statt Non-Profit

Die ursprünglich als Non-Profit-orientiert konzipierten Mikrofinanzbanken bekamen For-Profit-orientierte Konkurrenz. Nach dem 358-Millionen-Dollar-Börsegang von Indiens Marktführer SKS Microfinance, der auch Investoren wie George Soros und Fondsmanager von Goldman Sachs und Morgan Stanley anlockte, im letzten Jahr gab es immer mehr Anbieter, nicht nur in Indien, auch in Mexiko, Bolivien, Indonesien. Und diese Anbieter wollten übers Geldgeben viel Geld machen, indem sie Zinsen von über 30 Prozent verlangten und das Geld quasi zweckungebunden vergaben; KundInnen konnten zudem bei mehreren Banken gleichzeitig Kredite laufen haben - und sich so umso höher verschulden.

Kaum positive Wirkungen

In Indien wurden die großteils weiblichen SchuldnerInnen von wöchtlichen Besuchen der KrediteintreiberInnen eingeschüchtert; sie sollten ihre Kinder arbeiten schicken, um die Forderungen zu begleichen; man zwang sie, letzte Wertsachen zu verkaufen; oder ihren Körper. Was folgte, war eine Welle an Suiziden**, die der längst aufgekommenen Kritik an der Mikrofinanz verstärkt Gehör verschaffte, und die unter anderem lautet: Es findet kein Frauenempowerment über Mikrokredite statt, sondern eine Feminisierung der Verschuldung.

Diese Kritik bekommt vermehrt durch Studien Rückenwind, die die Effekte der Mikrofinanzierung untersucht haben. Sozioökonomin Katharina Hammler hat für das Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) eine kritische empirische Bestandsaufnahme dazu erstellt und hält fest, dass "empirisch fest abgesicherte Aussagen über die Wirkung von Mikrokrediten kaum getroffen werden können", es aber "gerade die methodisch aufwendigsten und als am verlässlichsten erachteten Studien" sind, "die kaum positive Wirkungen von Mikrofinanzprojekten feststellen können".

Verschlechterung für Frauen - mit Ausnahmen

Weder haben Banerjee et al. (2010) für Indien oder Crépon et al. (2011) für Marokko positive Effekt auf Empowerment - gemessen als die Macht, im Haushalt Entscheidungen zu treffen -, Gesundheit und Sozialfaktoren über Mikrofinanzierung aufgezeigt noch Hanappi-Egger et al. (2008) im Fall Ägypten. Hier besagen die Ergebnisse sogar negative Entwicklungen für Frauen: Die klassische Arbeitsteilung werde reproduziert, Frauen würden in den informellen Sektor gedrängt und eine "Feminisierung von Schulden" trage eher zur Verschlechterung der Situation von Frauen denn zu einer Stärkung bei. Ashraf et al. (2010) haben für die Philippinen hingegen festgestellt, dass sich eine Form der Mikrofinanz positiv auf das Empowerment auswirkt, weil Frauen darüber mehr Mitsprache bei den Konsumentscheidungen des Haushalts verfügten: Das Mikrosparen.

kfb hat keine "Mikrokredit-Policy"

Womit man wieder am Anfang wäre: Vor den Banken, vor "linkages", bei den Spargenossenschaften, und die spielen auch in der Österreichischen Entwicklungshilfe eine Rolle. So weist die Katholische Frauenbewegung (kfb), die in vielen internationalen Projekten Frauen unterstützt, eine generelle "Mikrokredit-Policy" von sich: "Eine Stärkung der Rolle der Frau in Entwicklungsländern kann nie nur rein ökonomisch funktionieren", ist die Referentin für Entwicklungspolitik des kfb Anja Appel überzeugt. Die kfb setze auf die Stärkung der Frauen innerhalb einer Struktur, in welcher auch Mikrofinanz eine Rolle spielen kann, aber nicht muss: "Im Rahmen unserer Projektarbeit ermöglichen wir den Frauen, gemeinsam zu sparen und untereinander Geld zu leihen."

CARE setzt auf Spargruppen auf Dorfebene

Für die Hilfsorganisation CARE Österreich ist die profitorientierte Mikrofinanz durchaus kritisch zu betrachten. "CARE ist nicht überzeugt, dass solche Initiativen die 'Ärmsten der Armen' erreichen. Vielmehr zielen sie auf Bevölkerungsgruppen ab, die bereits einfacheren Zugang zu Krediten haben. Zudem stellt sich die Frage, was passiert, wenn jemand den Kredit nicht zurückzahlen kann", sagt Development-Leiterin Sok-Chea Ung.

Deshalb setzt auch CARE in seinen Projekten auf Eigenermächtigung - und das einfache und als wirksam bestätigte Prinzip von "Spar- und Verleihgruppen auf Dorfebene" (Village Savings and Loan Groups): "Das funktioniert wie in einem Sparverein. Die Gruppe entscheidet gemeinsam über die Verwendung der angesparten Beträge." So machen sich die Menschen nicht abhängig von Geldgebern wie Banken und nicht einmal von CARE selbst: "Von uns erhalten sie eine Sparbox und Schulungen, zu Buchhaltung zum Beispiel, damit die Gruppe nachvollziehen kann, wer was wann eingezahlt hat", erklärt Ung. Die SparerInnen können selbst bestimmen, wer wann wieviel Geld über welchen Zeitraum erhält und geben die Kontrolle über die verfügbare Summe, die sich über die Anzahl der Sparenden akkumuliert, nicht ab.

Ein derart selbstorganisiertes Geldwesen ist laut Ung so nachhaltig wie populär und die Frage, wer Kredite wie zurückzahlt, erübrige sich. Denn Zinsen sind in diesem System nicht obligatorisch.

Keine Entmündigung

Aber wer kontrolliert, dass die Frauen das gesparte, geliehene Geld selbst verwalten und nicht männliche Verwandte? "Die PartnerInnenorganisationen haben vor Ort im Großteil der Fälle BetreuerInnen", erklärt Appel. So passiere eine Kontrolle, die über Vertrauen funktioniere, denn die BetreuerInnen seien schon im Aufbau der Gruppe involviert, kennen die Frauen und diese sie. Ihre Aufgabe sei es laut Appel aber nicht, wöchtlich in die Haushalte zu gehen, um zu überprüfen, welches Familienmitglied nun Gelder verausgabt hat: "Das wäre eine Art Entmündigung." (bto/dieStandard.at, 13.10.2011)