Silver Capitals-Coach Philippe Horsky in seinem Büro in der neu errichteten dritten Halle des Wiener Eissportzentrums.

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Mario Seidl, einer von vielen jungen Spielern, die im letzten Jahr in Wien große Fortschritte erzielt haben.

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Anteil der Einsätze von in Wien ausgebildeten Spielern im Kader der Vienna Capitals (01/02 bis 10/11).

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Unübersichtliche Situation vor dem Tor, die Scheibe springt quer zum frei in den Slot stürmenden Pierre Wolf. Der Verteidiger des EHC Bregenzerwald nimmt genau Maß, bezwingt Thomas Dechel mit einem punktgenauen Wristshot über der Stockhand und dreht jubelnd ab. Das spielentscheidende Tor in der Verlängerung. Wiens junger Goalie kniet für einige Sekunden mit gesenktem Kopf, ehe er sich wieder aufrichtet. Seine Enttäuschung ist groß, eben endete auch das vierte Heimspiel des Farmteams der Vienna Capitals in der Nationalliga, der zweithöchsten Spielklasse des Landes, mit einer Niederlage. Doch auch wenn der sportliche Ehrgeiz das Streben nach dem Sieg zu obersten Prämisse macht, die jede Woche neu beantwortete Frage nach Gewinn und Verlust eines Spiels ist für die zweite Mannschaft des Wiener EBEL-Vereins nicht die vordergründige. Firmierend unter der Bezeichnung Silver Capitals geht es für das junge Team von Trainer Philippe Horsky darum, erste Wettkampferfahrungen im Seniorenbereich zu sammeln, die Entwicklung auf individueller Ebene wie auch als Team voranzutreiben und mittelfristig Nachwuchscracks von Bundesligaformat zu schulen, die den stetig sinkenden Anteil an in Wien ausgebildeten Spielern in der Kampfmannschaft der Vienna Capitals wieder anzuheben vermögen.

Orientierung am Erfolg

Drei Wochen ist es her, dass die Capitals den zehnten Jahrestag des ersten Bewerbsspiels ihrer Geschichte begingen. Nach den wirtschaftlichen Turbulenzen des Wiener Eishockeys in den 1990er-Jahren stieg der neu gegründete und konzipierte Klub im September 2001 in die höchste Spielklasse ein, in den zehn Saisonen seither gelang acht Mal die Qualifikation für das Semifinale, 2005 wurde sogar der Meistertitel in die Bundeshauptstadt geholt.
Von Beginn ihrer Existenz an waren die Capitals ein in erster Linie am unmittelbaren sportlichen Erfolg orientierter Klub, in dessen Planung Nachhaltigkeit eine so untergeordnete Rolle spielte, dass sie sich höchstens an Langzeitverträgen für besonders publikumswirksame Einzelspieler festmachen ließ. Nicht zufällig stellten die Proponenten ihren Klub von Beginn an unter das Motto „Fire on Ice" - man inszenierte Eishockey als Event, operierte entlang der Leitlinien der Optimierung von Resultaten und öffentlicher Aufmerksamkeit. Eine Fokussierung, die zukunftsträchtige Arbeit an den Strukturen im Unterbau des Klubs, seinem Nachwuchs, weitestgehend ausklammerte.

Hallenumbau als Initialzündung

Mit dieser niedrigen Priorisierung der Jugendarbeit konfrontiert, führten Vereinsverantwortliche über Jahre hinweg die infrastrukturell schwierige Situation in Wien als Hauptgrund an. Dass die geringe Anzahl der (noch dazu geographisch ungünstig verteilten) Eisflächen in der sich selbst gerne als Sportstadt bezeichnenden Millionenmetropole der Nachwuchsförderung der Capitals tatsächlich im Wege stand, kristallisierte sich in den letzten Monaten immer deutlicher heraus. Mit der Fixierung des Um- und Ausbaus der Albert Schultz-Halle ging ein Ruck durch die Organisation der „Caps", die Errichtung einer dritten Spielfläche in Kagran verlieh dem zuvor recht zarten Pflänzchen des Wiener Juniorenhockeys einen deutlichen Wachstumsschub.

Die große Kluft

Der zweite entscheidende Faktor für die Trendumkehr in der jahrelang vernachlässigten „capitalen" Nachwuchsarbeit waren personelle Veränderungen im Bereich der sportlichen Verantwortung im Verein. Funktionierte in der Vergangenheit die Schulung junger Cracks der präpubertären Jahrgänge im Rahmen des Assoziationsvereins EAC Junior-Capitals gut, so klaffte in den höheren Altersklassen ein großes Loch, funktionierte der Übergang in den Seniorenbereich von wenigen Ausnahmen abgesehen überhaupt nicht. So wurde etwa der Anteil an in Wien ausgebildeten Spielern im Kader der Kampfmannschaft der Vienna Capitals im Verlauf der ersten Dekade der Geschichte des Klubs mehr als halbiert und erreichte in der Spielzeit 2010/11 seinen negativen Höchstwert.
Doch mit der Perspektive der Verbesserung der infrastrukturellen Situation setzte in den letzten Jahren ein Umdenken im Verein ein. Im Sommer 2010 betraute man Philippe Horsky mit der Aufgabe, die große Kluft zwischen Jugendabteilung und EBEL-Team zu verringern. Der 388-fache Bundesligaspieler und zweimalige A-WM-Teilnehmer beendete seine Profikarriere bereits im Alter von 26 Jahren und widmet sich seither der Trainertätigkeit.

Frischer Wind

Rückblickend bekundet er heute, dass er damals „neben dem Sportwissenschaftsstudium eigentlich nur reinschnuppern" wollte, längst ist daraus jedoch ein Vollzeit-Job geworden. Nicht nur für Horsky, auch für seine Spieler: „Mein primäres Ziel war es, intensiver, öfter und fundierter zu trainieren, den Übungsbetrieb und die Einstellung der jungen Cracks zu professionalisieren. Das war für viele doch eine große Veränderung im Vergleich zur Vergangenheit, aber letztlich haben alle voll mitgezogen und wir sind, so denke ich, auf einem guten Weg."
Trainiert wird heute täglich, auch die Dichte des Spielplans ist mit jener bei den Profis vergleichbar. Horskys Mannschaft, das ist im Kern das U20-Team der Vienna Capitals. Gespielt wird in der österreichischen U20-Meisterschaft und in der zweithöchsten Seniorenklasse, der Nationalliga. Dort unter dem Namen „Silver Capitals" und ergänzt um einzelne Kaderspieler aus der Kampfmannschaft. Angesetzt wird also am gerade in Österreich so problembehafteten Übergang zwischen Junioren- und Profibereich.

Rookies vor dem Sprung

Etwas mehr als ein Jahr nachdem Philippe Horsky seine neue Aufgabe übernommen hat, sind bereits wesentliche Fortschritte sichtbar, nicht zuletzt aufgrund des umfangreichen Sommertrainings ab Anfang Mai. Etwa bei Top-Talent Mario Seidl (19), der nach seiner im Herbst 2009 erfolgten Rückkehr aus Salzburg in Wien anfangs weder gefordert noch gefördert wurde, mittlerweile aber schon mehrfach in der Kampfmannschaft sein EBEL-Format unter Beweis stellen konnte. Ein Sprung, der in absehbarer Zeit auch Goalie Thomas Dechel (18) und Verteidiger Patrick Peter (17) zuzutrauen ist.

Organisation, nicht Team

Befeuert wird die gute Entwicklung in den höheren Nachwuchsjahrgängen bei den Capitals auch durch das Engagement des neuen Cheftrainers der Kampfmannschaft, Tommy Samuelsson. Der in Fachkreisen hochgelobte Schwede hat sich seine vielschichtige Aufgabe in Wien längst verinnerlicht. Entgegen der Arbeitsauffassung der meisten seiner Vorgänger sieht er sich dem Blick aufs „große Ganze" verpflichtet, spricht in Interviews nie über sein (Profi-)Team, sondern stets über „die Organisation". Unterstützung, über die sich auch Philippe Horsky freut: „Die Weiterentwicklung ist um ein Vielfaches leichter, wenn sich der Head Coach der Kampfmannschaft wirklich kümmert, sich dem Nachwuchs intensiv widmet. Er hat bereits Trainings mit dem U20-Team geleitet, zwei jungen Linien der Silver Capitals den Pre Season-Einsatz in Znojmo ermöglicht, kennt die Spieler per Namen und beobachtet auch bei den Juniors sehr aufmerksam. Das gibt natürlich enormen Auftrieb, für unsere Nachwuchsspieler wird so unser Gesamtkonzept sicht- und nachvollziehbar, sie erkennen: Das hat Struktur, das sind meine Möglichkeiten, so kann mein Weg zum Profi aussehen."

Umdenken und profitieren

Auch wenn der Spielbetrieb in der Nationalliga im Vereinsbudget einen Minusposten darstellt, mittelfristig werden die Vienna Capitals vom Engagement ihres Farmteams in der zweithöchsten Spielklasse ebenso profitieren wie vom allgemein höheren Stellenwert, den die Jugendarbeit mittlerweile im Verein genießt. An talentierten Nachwuchsspielern fehlte es dem Wiener Eishockey in der Vergangenheit selten, in der Regel blieb jedoch ihre Förderung auf unzureichendem Niveau. Spät aber doch haben nun die Capitals ihre Vereinspolitik adaptiert und die erzielten Fortschritte in den letzten Monaten lassen durchaus optimistisch darauf schließen, dass es dem Klub gelingt, die große Lücke zwischen Nachwuchs- und Profibetrieb, in der im Laufe der letzten Dekade so mancher vielversprechende Juniorenspieler verschwand, in absehbarer Zeit zu schließen.

Silver Capitals-Coach Philippe Horsky steht durchaus symbolisch für den Wandel in Wien. An Trainerjahren ebenso jung wie die gesteigerten Ambitionen der Capitals in Sachen Nachwuchsarbeit, geht er auch täglich mit der Kampfmannschaft aufs Eis, profitiert von der Arbeit mit und der Beobachtung von Tommy Samuelsson. „Ich möchte noch so vieles lernen und muss auch noch so vieles lernen", gibt er offen zu. Seine formelle Trainerausbildung hat er absolviert, im Wintersemester ruht das Studium zu Gunsten des Eishockeys, jüngst wurde er zum Assistant Coach der U20-Nationalmannschaft berufen. Auch dort wird er lernen, zum Vorteil seiner Silver Capitals und auch des österreichischen Eishockeys, ist doch der Mangel an zielgerichtet und intensiv arbeitenden Nachwuchstrainern eines der größten Mankos hierzulande. (Hannes Biedermann; derStandard.at; 10.Oktober 2011)