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Der Ausdruck "Zwangseinweisung" wurde mittlerweile abgeschafft, heute redet man von Verbringung, Unterbringung oder Aufnahme ohne Verlangen

Foto: APA/Patrick Seeger

Ein Szenario, das immer wieder in Filmen auftaucht: Eine Person kommt gegen ihren Willen in die Psychiatrie und verschwindet hinter den Mauern - ohne Möglichkeit die Anstalt zu verlassen, fern jeglicher Rechte und der Willkür der Ärzte und Pfleger ausgeliefert. Ein realistischer Fall? Nein, ist Elke Beermann überzeugt. Sie leitet den Fachbereich Patientenanwaltschaft für den Verein VertretungsNetz, der Menschen vertritt, die in psychiatrischen Abteilungen zwangsweise untergebracht sind. In Österreich stellen zwei Organisationen Patientenanwälte zur Verfügung: in Vorarlberg das Institut für Sozialdienste (IfS), im Rest Österreichs der Verein VertretungsNetz.

Der Ausdruck "Zwangseinweisung" wurde mittlerweile abgeschafft, heute redet man von Verbringung, Unterbringung oder Aufnahme ohne Verlangen. Hinter diesen Begrifflichkeiten verbirgt sich der unfreiwillige Aufenthalt einer Person an einer psychiatrischen Abteilung - in Österreich gab es im Vorjahr 21.903 solcher Unterbringungen.

Voraussetzungen für eine Unterbringung

Grundlos darf niemand in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden. Damit eine zwangsweise Unterbringung möglich ist, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Diese sind genauso wie das darauf folgende Prozedere im Unterbringungsgesetz geregelt. "Ein Mensch muss psychisch erkrankt sein, damit unmittelbar in Zusammenhang sich selbst oder andere gefährden und es darf keine alternative Behandlungsmöglichkeit geben", erklärt Beermann. Bevor eine Person tatsächlich zwangsweise untergebracht wird, muss vom Leiter der psychiatrischen Abteilung in einer Untersuchung überprüft werden, ob die Unterbringungsvoraussetzungen vorliegen. Bei Erfüllung der Voraussetzungen kommt es zur Unterbringung.

Folglich werden das Bezirksgericht und ein Patientenanwalt benachrichtigt, die erneut prüfen, ob die jeweilige Unterbringung rechtens ist. Das Gericht leitet das Unterbringungsverfahren ein, das erst wieder endet, wenn die Unterbringung aufgehoben wird. Während des Aufenthalts an einer psychiatrischen Abteilung überprüft das Gericht in regelmäßigen Abständen, ob die Unterbringung zulässig ist. Ärzte sind aber verpflichtet, Patienten sofort aus der Unterbringung zu entlassen, wenn die Unterbringungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Somit kann eine Aufnahme ohne Verlangen zu jedem Zeitpunkt von einem Facharzt aufgehoben werden.

Menschen in Ausnahmesituationen

Patientenanwälte suchen neu untergebrachte Patienten auf der Station auf und erfragen einerseits deren Anliegen und Sichtweise zur Unterbringung, andererseits informieren sie die Patienten über ihre Rechte. Bedürfnisse, die Patienten vor den Anwälten zum Thema machen, sind etwa genauere Informationen zur Behandlung, Wirkung und Nebenwirkungen von Medikamenten, häufig aber auch kleinere Anliegen wie die Möglichkeit nach häufigeren Spaziergängen oder die Besorgnis, wer nun die Katzen füttere.

Die parteilichen Vertreter haben im Rahmen ihrer Arbeit mit Menschen zu tun, die sich in Ausnahmesituationen befinden. "Wir erleben Patienten hauptsächlich in einer Akutphase und mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern: Viele Patienten sind depressiv, psychotisch, manisch angetrieben oder verwirrt", so Beermann. Zudem reagieren die Patienten auf die Freiheitsbeschränkung sehr unterschiedlich. Manche finden sich damit ab, andere sind wütend darüber und wollen entlassen werden. Sich im Gespräch auf die verschiedenen Wahrnehmungsweisen der Patienten einzustellen und diese nicht zu überfordern, sei eine besondere Herausforderung. "Wir fragen diese Menschen nach ihren Anliegen - und Anliegen hat jeder Mensch, egal wie gesund oder krank er ist", sagt die Patientenanwältin.

Verschiedene Stufen der Freiheitsbeschränkung

Unterbringungen können in einem geschlossenen Bereich einer psychiatrischen Abteilung, bei dem die Türen nach außen hin abgesperrt sind, oder aber in offenen Stationen, stattfinden. Der Gedanke an den geschlossenen Bereich kommt bei dem Begriff Unterbringung oft vorschnell, denn an vielen psychiatrischen Abteilungen gibt es mittlerweile nur mehr offenen Bereiche, die Patienten theoretisch jederzeit verlassen könnten. "Unterbringung heißt ja nicht, dass sich prinzipiell alle Patienten dagegen wehren. Das heißt nur, dass sie die Station nicht verlassen dürfen. Man soll die Wirkung einer Anordnung nicht unterschätzen, denn auch wenn Patienten das selbst nicht wollen, ist es trotzdem so, dass sich viele daran halten", erklärt Beermann.

Weitergehende Beschränkungen, die über den geschlossenen Bereich hinausgehen und die die Bewegungsfreiheit der Patienten auf einzelne Räume oder Bereiche eines Raumes einschränken, dürfen behandelnde Ärzte nur dann anordnen, wenn dadurch eine Gefahr abgewendet werden kann oder die Einschränkung für die ärztliche Behandlung unerlässlich ist. Laut VertretungsNetz kommt es in mehr als einem Drittel aller Unterbringungen zu intensiven Bewegungsbeschränkungen. Darunter fallen etwa Fixierungsmaßnahmen wie das Festbinden mit Hand-, Fuß-, oder Bauchgurten, das Zurückhalten in einem Raum oder die Verwendung von Netzbetten. Diese weitergehenden Beschränkungen müssen der Patientenanwaltschaft gemeldet werden und Patienten haben das Recht, diese Maßnahmen auf Antrag durch das Gericht überprüfen zu lassen.

Zwangsbehandlungen

Die Angst vor einer eventuellen Zwangsbehandlung wird oft mit der Psychiatrie in Zusammenhang gebracht. Grundsätzlich haben Patienten das Recht auf eine schonende, angemessene, möglichst risikoarme und wirksame Therapie. Unter Umständen kann es aber vorkommen, dass Patienten gegen ihren Willen behandelt werden. Ausschlaggebend ist hierbei die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Patienten. Dies bedeutet, den Grund und die Bedeutung einer Behandlung zu verstehen und sich entweder für oder dagegen aussprechen zu können. Patienten, die einsichts- und urteilsfähig sind dürfen nur mit ihrer Zustimmung behandelt werden. Jene, die das nicht sind und auch keine gesetzlichen Vertreter haben (Erziehungsberechtigte, Sachwalter, Vorsorgebevollmächtigter) können bei medizinischer Notwendigkeit auch ohne deren Zustimmung behandelt werden. Auf Verlangen des Patienten oder des Patientenanwalts muss das Gericht die Zulässigkeit der Behandlung prüfen.

"Besondere Heilbehandlungen" müssen immer gerichtlich genehmigt werden und dürfen erst dann begonnen werden. Darunter werden Behandlungen bezeichnet, die die körperliche und psychische Verfassung des Patienten schwerwiegend beeinflussen, erhebliche Nebenwirkungen aufweisen oder die Persönlichkeit verändern können - etwa die Elektro-Krampf-Therapie oder die Gabe von Psychopharmaka mit Langzeitwirkung. Auf eine Genehmigung darf nur bei "Gefahr in Verzug" verzichtet werden, wenn der zeitliche Aufschub zur Einholung der gerichtlichen Zustimmung das Leben des Kranken gefährden würde. Laut IfS-Patientenanwaltschaft sind im Jahr 2010 insgesamt 15 Anträge auf Genehmigung einer „besonderen Heilbehandlung" in Vorarlberg gestellt worden; die Hälfte davon wurde genehmigt. (Ursula Schersch, derStandard.at, 14.11.2011)