Zu den wissenschaftlich interessantesten Funden am früheren Friedhof auf dem Domplatz zählt ein Massengrab einer gleichzeitig bestatteten 18-köpfigen Familie, die möglicherweise einer Katastrophe zum Opfer gefallen war.

Foto: Stadtarchäologie St. Pölten

St. Pölten -  Bei der Untersuchung der ehemaligen Pfarrkirche in St. Pölten stießen Archäologen auf einen römischen Großbau, dessen Dimensionen eine Therme vermuten lassen. Die Ausgrabungen am Domplatz im Zentrum der niederösterreichischen Landeshauptstadt laufen bereits seit dem Vorjahr, nun zieht der Stadtarchäologe Ronald Risy Bilanz.

Teile des römischen Bauwerks wurden für den ersten christlichen Sakralbau genutzt, der vermutlich im 9. Jahrhundert entstand. An das Gebäude angesetzt wurde dann eine romanische, 1133 geweihte Kirche, die im 14. Jahrhundert vergrößert und im Zuge der Errichtung des barocken Klosters und der -kirche (dem heutigen Dom) abgerissen wurde.

Die Grabungen, denen eine Neugestaltung des Domplatzes folgen wird, sind aber nicht nur für die Stadtgeschichte interessant, sondern auch aus anthropologischer Sicht "sensationell", sagte Karl Grossschmidt von der medizinischen Universität Wien. Die wissenschaftliche Untersuchung der aus dem im Mittelalter angelegten und bis zum 18. Jahrhundert genutzter Friedhof stammenden Skelette ermögliche eine Rekonstruktion der Bevölkerungsgeschichte durch die Jahrhunderte hindurch, sprach der Anthropologe Krankheiten ebenso an wie die damalige Umweltbelastung. Bisher wurden 3.000 biologische Proben genommen und die Überreste von 1.242 Menschen untersucht.

Grab einer Großfamilie

Der wissenschaftlich interessanteste Fund war ein Massengrab einer gleichzeitig bestatteten 18-köpfigen Familie - Eltern und 16 Kinder im Alter von drei bis 20 Jahren, die möglicherweise einer Katastrophe (Überflutung) zum Opfer fielen. Die Zahl der Kinder und auch die Tatsache, dass viele der untersuchten Frauen im Alter von ungefähr 25 Jahren starben, zeige die hohe Geburtsbelastung für Frauen damals.

Im Frühjahr 2012 werden die Grabungen fortgesetzt. Sie stoßen bei der Bevölkerung auf reges Interesse, berichtete Bürgermeister Matthias Stadler von einer täglich hohen Frequenz auf der eigens eingerichteten Beobachtungsplattform. Auch die bisherigen Führungen seien "gestürmt" und die dazu passende Ausstellung im Stadtmuseum gut besucht worden.

Nach Angaben von Baudirektor Kurt Rameis ist für die archäologischen Arbeiten pro Jahr eine Million Euro im außerordentlichen Haushalt der Stadt veranschlagt. Im Vorjahr lagen die Kosten bei 450.000 Euro, heuer dürfte es das Doppelte sein. (red/APA)