Der Politikberater und der Staatssekretär im "Museum der Wünsche" des Wiener Mumok vor einem Werk von Cindy Sherman.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

Strolz kritisiert Ostermayer und die Performance der Bundesregierung: "Ich beobachte, dass es eine inhaltliche Verarmung der beiden Großparteien gibt. Es gibt eine inhaltliche Wüste und hier gedeihen seltsame Pflanzen wie Korruption."

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"Das sind Vorurteile", zeigt sich Ostermayer vom Buchautor enttäuscht. "Was Sie schreiben, ist eigentlich in großen Teilen das Gegenteil ist von dem, was Sie jetzt sagen. Die Korruptionsfälle sind nicht jetzt passiert, sondern stammen aus Zeiten vor dieser Regierung."

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Regierungskoordinator Ostermayer: "Zum Vorwurf, wir hätten keine Ziele: Ich kann das deshalb nicht teilen, weil es im Kleinen regelmäßig Vorschläge gibt, die konsequent verfolgt werden. Die stehen aber auch unter einem generellen Ziel."

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Matthias Strolz glaubt, dass Österreich eine neue Politik braucht. Er sehnt Politiker als "Gärtner des Lebens" herbei. Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ), treuer Weggefährte von Bundeskanzler Werner Faymann, gilt hingegen als pragmatischer Politik-Handwerker im Hintergrund. Im "Museum der Wünsche" des Wiener Mumok prallten zwei politische Welten aufeinander.

derStandard.at: Herr Strolz, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Warum wir Politikern nicht trauen". Warum vertrauen Sie Herrn Ostermayer nicht?

Strolz: Ich kenne Herrn Ostermayer nicht persönlich, kann deshalb nicht sagen, dass ich der Person nicht traue. Ich beziehe mich auf die allgemeine Stimmung im Volk. Eine Unzahl von Studien belegen, dass in der Zweiten Republik der Politik noch nie weniger getraut wurde. Der Politik wird nicht nur nicht vertraut, sondern es wird ihr auch nix zugetraut. Das ist eine Tragik von besonderer Tragweite, weil Vertrauen die Geschäftsgrundlage der Demokratie ist. Sie hängen da mit der SPÖ drinnen und sind als Regierungsmitglied nicht aus der Verantwortung zu lassen.

derStandard.at: Herr Ostermayer, teilen Sie dieses Unbehagen?

Ostermayer: Ich könnte jetzt viele Erklärungsversuche bringen, wie Herr Strolz das in seinem Buch gemacht hat. Die Medien haben eine wesentlich stärkere Funktion übernommen. Gleichzeitig befinden wir uns in einem extrem komplexen System. Und da stellt sich die Frage, wie man komplexe Systeme steuern kann und welche Erwartungen es hinsichtlich dieser Steuerung gibt. Die Vernetzung der Welt hat insgesamt die Komplexität der Systeme erhöht. Ich habe meine Regierungsfunktion 2008 am Start der großen Finanzkrise übernommen. Die Politik hat bestimmte Geschwindigkeiten, die von der Demokratie vorgegeben werden. Entscheidungsprozesse bedeuten in der Politik, Menschen zu überzeugen, Mehrheiten zu finden. Aktuelles Thema ist die Aufstockung des EFSF (Europäischer Rettungsschirm, Anm.). Da ist die Demokratie naturgemäß in ihren Handlungen immer langsamer als die extrem irrationalen Entscheidungen der Finanzwelt.

derStandard.at: Das klingt jetzt fast nach einer Kapitulation vor der Finanzwelt.

Ostermayer: Nein, das glaube ich nicht. Sondern es gibt Regeln im Finanzmarkt, die beseitigt wurden und die zu einer Beschleunigung geführt haben. Paul Volcker (Wirtschaftsberater von Barack Obama, Anm.) hat jetzt neue Vorschläge gemacht, wie man wieder reglementieren muss. Das dauert aber naturgemäß auch eine gewisse Zeit. Jetzt diskutiert man in Europa auch die Finanztransaktionssteuer. Übrigens etwas, das sich Österreich ganz stark auf die Fahnen schreiben kann, aber in dem Ausmaß medial auch nicht transportiert wird.

Strolz: Das ist ein schönes Beispiel, nur ist es mir zu wenig. Ich bin völlig bei Ihnen, dass es viele Phänomene gibt, die sich dem Einfluss Österreichs entziehen. Aber wenn wir uns an Fakten orientieren, dann würde ich mir ein viel größeres Engagement des Bundeskanzlers erwarten. Ich erwarte mir eine Initiatorenrolle von Werner Faymann auf europäischer Ebene, aber das ist Ihnen alles nicht wichtig genug. Sie machen Ihr Klein-Klein-Geschäft in Österreich, weil Sie da eine Machtlobby haben.

Ostermayer: Das ist eine vollkommene Fehleinschätzung!

Strolz: So kommt es aber bei mir an. Ich beobachte, dass es eine inhaltliche Verarmung der beiden Großparteien gibt. Es gibt eine inhaltliche Wüste und hier gedeihen seltsame Pflanzen wie Korruption und andere Sachen. Das sind Symptome einer marodierenden Parteienlandschaft, weil sich die Sozialdemokratie und die ÖVP gleichermaßen seit zwei Jahrzehnten einer Erneuerung verweigern.

Ostermayer: Entgegen Ihrem Buch sind Sie jetzt genau auf der Ebene von Vorurteilen und bestärken diese sogar. Ich finde das interessant, weil das, was Sie schreiben, eigentlich in großen Teilen das Gegenteil ist von dem, was Sie jetzt sagen. Nämlich: Die Korruptionsfälle sind nicht jetzt passiert, sondern stammen alle aus Zeiten vor dieser Regierung.

Strolz: Darüber können wir streiten. Die Inseratengeschichte ist zwar keine Korruption, aber zumindest eine zweifelhafte Erscheinung.

Ostermayer: Nein.

Strolz: Finde ich schon. Das ist ungehörig in dieser Weise. Dass man sich Berichterstattung kauft und sich anbiedert.

Ostermayer: Ich halte es für eine grobe Beleidigung von Journalistinnen und Journalisten, wenn Sie sagen, die Berichterstattung wird gekauft. Die Situation ist, wie sie ist, nämlich, dass die Medien quer durch tendenziell mehr den Konflikt darstellen als eine Lösung. Gut, es gibt auch Ausnahmebeispiele, wobei das eine mit der Ortstafel-Lösung mich betrifft.

Strolz: Ja, das war eine super Geschichte.

Ostermayer: Aber der typische Fall ist, dass mehr Konflikt dargestellt wird als Lösung. Was kann die Politik dann tun? Die Politik versucht zu informieren. Das ist etwas, was die Wirtschaft genauso tut. Und eine Form ist zu inserieren. Daraus abzuleiten, dass damit Medien oder Journalistinnen und Journalisten gekauft werden, halte ich für einen groben Unfug. Inserate sind nunmal die wirtschaftliche Basis für Medien. Außer es gibt irgendwelche Mäzene oder Unternehmen, die sich den Luxus leisten, Medien zu produzieren.

derStandard.at: Ist es nicht seltsam, dass man sich nur bestimmte Medien aussucht, um die Bevölkerung zu informieren?

Ostermayer: Nein. Was macht die Wirtschaft? Die Wirtschaft geht einerseits Richtung Zielgruppen und andererseits Richtung Reichweite. Unsere Zielgruppe ist die breite Bevölkerung, deswegen inserieren wir auch nicht in Medien, die ein Hochpreis-Publikum haben. Wir produzieren schließlich in der Politik keine Jaguars oder Rolls-Royces.

Strolz: Sie wollen Ihre Macht organisieren, deswegen wollen Sie die maximale Breite.

Ostermayer: Nein, das hat mit Macht überhaupt nichts zu tun. Ich bin in die Politik gegangen, obwohl ich davor einen wunderbaren Job hatte, wo ich mit Wohnbau und Architektur zu tun hatte. Trotzdem habe ich mich entschieden, diesen Weg zu gehen. Weil mich einerseits der Bundeskanzler, der ein enger Freund von mir ist, gefragt hat, und ich andererseits die Chance gesehen habe, meine Ziele dort eher oder stärker erreichen zu können.

derStandard.at: Generell scheint die Politik immer mehr Gefühlslagen und Meinungsumfragen hinterher zu schwimmen. Macht die SPÖ da nicht viel zu sehr mit?

Ostermayer: Sie stellen gerade mir diese Frage, der vor kurzem dafür kritisiert wurde, dass ich genau das nicht mache. Ich habe tatsächlich an der Ortstafel-Lösung mehr als ein Jahr gearbeitet, ohne dass es irgendeine Kommunikation gab. Also wenn Sie mir quasi den Vorwurf des Politik-Marketings machen, dann bin ich wahrscheinlich wirklich derjenige, der nicht die Hülle darstellt, sondern im Hintergrund arbeitet.

derStandard.at: Für die Ortstafel-Lösung sind Sie schließlich auch in allen Medien einhellig gelobt worden. Sie sind aber auch Mitglied des SPÖ-Präsidiums. Nehmen wir die Wehrpflicht: Da hat die Sozialdemokratie eine ideologische Position, die sie seit 1934 hatte, innerhalb einer Woche geopfert.

Ostermayer: Nein!

Strolz: Das haben doch eine Handvoll Leute entschieden, wie soll das jemand in einer Sektion in Simmering verstehen? Das, was Ihnen in Kärnten gelungen ist, finde ich großartig. Ich will nicht nur sudern. Aber wie Sie uns das erklären wollen, dass das ähnlich war bei der Bundesheer-Frage, also die Geschichte will ich hören!

Ostermayer: Wir haben tatsächlich mehrere Monate im Hintergrund über dieses Thema diskutiert, haben auch überlegt: Wie kann es gehen? Wir haben natürlich auch abgewägt: Wie schaut das in der SPÖ aus vor dem Hintergrund 1934? Ich habe, gebe ich zu, eine sehr offene Position eingenommen. Wir haben auch eine Polizei, die professionell ist und nicht durch eine Wehrpflicht oder Polizei-Pflicht rekrutiert wird.

Strolz: Das ist ja eine Ex-Post-Rationalisierung. Das hat ja ganz anders stattgefunden. Ich rede auch mit SPÖ-Abgeordneten.

Ostermayer: Herr Strolz, ich weiß, wie die Diskussion war.

Strolz: Das ist offensichtlich subjektive Verzerrung. Das waren fünf Leute, die diese 180-Grad-Drehung entschieden haben.

Ostermayer: Es hat tatsächlich in der Phase davor eine sehr kleine Gruppe daran gearbeitet. Wir sind dann mit dieser Position, zugegeben nachdem es schon öffentlich diskutiert wurde, ...

Strolz: ... in den Wahlkampf gegangen ...

Ostermayer: ... ins Präsidium gegangen. Wir haben dann zu einer vielstündigen, inhaltlichen Diskussion eingeladen.

Strolz: Die inhaltliche Position teile ich ja total. Aber was hier für ein Schauspiel abgelaufen ist! Sie haben die Wehrpflicht in der Zweiten Republik immer mit einer ideologischen Position argumentiert und die hat zutiefst mit dem Gründungsmythos der SPÖ zu tun. (Ostermayer schüttelt den Kopf.) Und eine grundsatzpolitische Position kann man nicht im kleinen Kreis ändern. Und das absolut Wahnsinnige war, dass Ihr Partner, die ÖVP, im Reflex auch eine 180-Grad-Wendung machte. Das ist diese Zumutung für den Staatsbürger, da verfällt Glaubwürdigkeit in wenigen Stunden. Sie kennen die Zahlen: 74 Prozent sind gar nicht mehr erreichbar für die etablierte Politik. Wir haben ante portas die Dritte Republik.

Ostermayer: Sie lassen schon einiges außer Acht, oder? Wir hatten von 2000 bis 2006 die SPÖ nicht in der Regierung.

Strolz: Aber die Macht läuft aus. SPÖ und ÖVP haben eineinhalb Millionen Wähler verloren in den letzten 35 Jahren. Sie kommen von 93 Prozent im Jahr 1975 auf 55 Prozent im Jahr 2008. Wenn Sie diesen Trend ohne Bruch weiterschreiben, sind Sie unter 50 Prozent. Und das ist die Todeslinie für das rot-schwarze Machtkartell.

Ostermayer: Wissen Sie, wie viele Parteien in der Eurozone an der Regierung sind? Es sind, glaube ich, 44 Parteien. Die Situation, dass in Österreich eine Zwei-Parteien-Regierung ist, ist schon fast ungewöhnlich ...

Strolz: ... sind Sie eh bald nicht mehr. Sie hätten doch einen staatstragenden Anspruch als Sozialdemokratie.

Ostermayer: Ich durfte in Wien auch mitarbeiten in einer Regierung mit absoluter Mehrheit. Ich gebe zu, man kann Dinge schneller umsetzen. Die Verflechtung in Europa und die Verflechtung mit der Welt ist eine ganz andere als 1975. Kurz danach hat ein Bundeskanzler (Fred Sinowatz, Anm.) aus dem gleichen Bundesland wie ich gesagt, dass alles sehr kompliziert sei. Er ist dafür ein bisschen belächelt worden. Aber er hatte recht. Wir müssen oft auch Entscheidungen treffen, wo man weiß, beide Wege sind unangenehm. So ist es jetzt auch bei Griechenland. Der Weg, für den sich Europa jetzt entschieden hat: Ob er der bessere ist, werden wir vielleicht in ein paar Jahren wissen. Vielleicht wissen wir es nie. Zum Vorwurf, so quasi wir hätten keine Ziele: Ich kann das deshalb nicht teilen, weil es im Kleinen regelmäßig Vorschläge gibt, die konsequent verfolgt werden. Die stehen aber auch unter einem generellen Ziel. Wenn man sich auf der größeren Ebene anschaut, welche Position Europa in der Welt, auch in Hinblick auf China, einnehmen kann, dann niemals eine Position, die heißt: Lohndumping. Welche Chancen hat Europa? In den Bereichen Umwelt, Bildung und Forschung. Darum haben wir selbst im Zuge des Sparpakets Geld in die Hand genommen für die Forschung und für die Bildung.

Strolz: Ich glaube auch, wir brauchen mehr von der Marke Ostermayer, wie Sie das bei den Ortstafeln gemacht haben. Aber: Das ist nicht das dominante Muster in Ihrer Partei und auch nicht in der ÖVP. Macht ist wichtig, aber alleine zu wenig. Es ist ihnen sicher viel gelungen, auch mit der Sozialpartnerschaft. Deswegen bin ich ja beunruhigt, dass ÖVP und SPÖ diese Republik nicht mehr schultern werden können. Wenn Sie unter 50 Prozent kommen werden, wissen wir nicht, was wir dann bekommen. Mir wären am liebsten eine erneuerte SPÖ und eine erneuerte ÖVP.

Ostermayer: Nein. Aber wir haben ja zum Beispiel in der Bildung bei der flächendeckenden Neuen Mittelschule ein extremes Stück weiter gebracht. Noch nicht die Variante, die wir gerne hätten, aber das ist halt so in einer Koalition. Solange die SPÖ nicht in einer absoluten Mehrheit ist – und die Zeit sehe ich nicht, ganz ehrlich -, ist der Kompromiss mein permanentes Leben in der Politik. Meine Hauptaufgabe in der Regierung ist meine Rolle als Koordinator, wo ich Woche für Woche Lösungen finden muss, wo es noch keine gibt.

derStandard.at: Herr Strolz, waren die Zeiten jemals schwieriger für einen Politiker?

Strolz: Die Zeiten sind total schwierig. Das Lebensgefühl, das wir alle teilen, ist, dass wir in einer unsicheren, komplexen, ambivalenten Welt leben. Abschließend: Wir haben der Sozialdemokratie viel zu verdanken gemeinsam mit der Volkspartei, aber diesen Dank würde ich gerne in zehn Jahren auch noch aussprechen können.

Ostermayer: Ich bemühe mich darum (lacht).

derStandard.at: Würden Sie Herrn Strolz raten, in die Politik zu gehen?

Ostermayer: Ich bin mir nicht sicher, ob er sich das antun will. Er schreibt ja auch, dass Politiker für viele Frustrationen des Alltags, wenn jemand gerade mit dem Partner gestritten hat oder die Straßenbahn davon gefahren ist, als Blitzableiter dienen. Ich glaube, er will nicht der Blitzableiter sein, sondern lieber über die Blitzableiter schreiben.

derStandard.at: Herr Strolz?

Strolz: Ich werde in der Politik sein. Das weiß ich aus der Tiefe meines Wesens. Aber die Zeit ist noch nicht reif für mich. Man muss auch den richtigen Zeitpunkt erkennen und warten können.

derStandard.at: In welcher Funktion?

Strolz: Jemand, der gestalten will, hat immer einen Zug in die Regierung. Ich glaube, Opposition ist fad.

derStandard.at: Herr Ostermayer, muss ein Politiker heute total perfekt sein? Darf man als Politiker heute gar nicht mehr sagen "Ich habe Mist gebaut", wie das vor kurzem ein Kandidat der Berliner Piratenpartei gesagt hat?

Ostermayer: Wahrscheinlich ist es tatsächlich so: Wenn jemand das sagt, bringt ihm das kurzfristig Anerkennung wegen seiner Offenheit. Langfristig trägt der Politiker dann aber diesen Stempel. (Lukas Kapeller, Rainer Schüller, derStandard.at, 10.10.2011)