Gott sprach zu ihm: Norman Hacker spielt LaBute.

Foto: Michel

Mitunter ist es ein Gebot der Höflichkeit, Quartier- und Gastgebern zu schmeicheln: Mit Halali, einer Farce aus der Feder des Münchner Autors Albert Ostermaier, sammelt das neue Leitungsteam des Residenztheaters Verdienste um die bajuwarische Zeitgeschichte.

Ostermaiers Text macht sich an der Titanenfigur des langjährigen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß zu schaffen. Nicht nur in den bayerischen Annalen gilt Strauß als weiß-blauer Dämon: Als politisches Wunderkind wurde er früh nach Bonn entsandt. Dort stolperte er über seine Unbeherrschtheit: Er löste 1962 die Spiegel-Affäre aus und gab ganz allgemein demokratiepolitische Defizite zu erkennen, die es fortan unmöglich machten, ihn zum Kaiser, Pardon: zum Bundeskanzler auszurufen.

Als Weißwurstpotentat mit kriminellen Energien taugt Strauß, der gerne zechte und sich sein Wildbret am liebsten eigenhändig schoss, vielleicht nicht zum Shakespeare-König. In die Ahnengalerie der Wittelsbacher mit ihren durchgeknallten Schwanenrittern passt er vortrefflich hinein. Regisseur Stephan Rottkamp versetzt ihn obendrein in den brezelbarocken Rahmen des Cuvilliés-Theaters. Jetzt musste nur noch geklärt werden, welche Eigenschaften von FJS es tatsächlich wert sind, poetisch hochgekocht zu werden.

Genau in dieser heiklen Frage aber hält sich Ostermaiers ungemein verspielter Text auffallend bedeckt. Bühnenbildner Robert Schweer verlängerte einfach die umlaufenden Ränge hinauf auf die Bühne. Eine Gruppe Nervenkranker klappert Denkwürdigkeiten eines egomanischen Lebens ab, das man wohl ein verpfuschtes nennen müsste, wenn es den Bayern nicht immer noch wohlige Schauer bereiten würde.

Ein "eingebildeter Strauß" namens Plisch (Jörg Ratjen) hockt als Patient mit riesiger Insektenbrille vor dem Halbrund der Ränge und sondert im Stil einer Wikipedia-Maschine Partikel aus dem Leben eines Polterers ab. Eine rothaarige Institutsleiterin (Sibylle Canonica) bekommt es mit anderen kniffligen Fällen zu tun: Ein Herr "Plum" (Michele Cuciuffo) bezeichnet den großkoalitionären Partner des Ministers Strauß. Der leibhaftige Sohn Max (Oliver Nägele) zerbricht am Erbe seines 1988 verstorbenen Vaters.

Zugute halten muss man Martin Kusejs Ensemble eine schier unglaubliche Spannweite an schauspielerischen Möglichkeiten: Jede einzelne Charge tänzelt auf dem artistischen Hochseil. Nur leider wird einem Ostermaiers Text nach etwa einer halben Stunde herzlich egal, auch wenn er sich gebärdet wie ein nassforsches Produkt aus dem Elfriede-Jelinek-Leistungskurs.

Moderne Heiligenlegende

Von deutlich überregionalerem Interesse war da schon die Erstaufführung von Neil LaButes "realistischer" Heiligenlegende Zur Mittagsstunde anderntags im Residenztheater. Ein New Yorker Betriebsleiter von durchdringender Durchschnittlichkeit (Norman Hacker) sitzt auf einem schmucklosen Sessel im gleißenden Licht und erzählt: Während eines Amoklaufs, dem gezählte 37 Firmenangestellte zum Opfer fallen, wendet sich Gott in seiner undurchdringlichen Güte ausgerechnet an ihn, einen graugesichtigen Choleriker. John Smith soll fortan von seiner Errettung Zeugnis ablegen und Gutes tun.

Das Pech dieses heiligen Paulus der New Yorker Häuserschluchten besteht nun leider darin, dass die durchkapitalisierte Welt auf seine Güte nicht gerade sehnsüchtig gewartet hat. LaButes Drama, das aus lauter Zwiesprachen besteht und doch nur einen einzigen inneren Monolog bildet: den eines tödlich ins Herz Getroffenen, atmet den Geist gewisser Brecht-Lehrstücke.

Es profitiert jedoch ungemein von der Regie- und Ausstattungskunst des großen Wilfried Minks, dessen eisige Präzision jeden Anflug von Peinlichkeit im Keim erstickt. Reihum lassen die unterschiedlich hartgesottenen Zivilisationsteilnehmer Johns Frohbotschaft von sich abprallen: voran die fast heiter-höhnische Ex-Frau (Katrin Röver), aber auch die Ex-Geliebte (Andrea Wenzl), die vor dem Beamer-Bild eines leeren US-Highways - der Wind spielt unentschlossen mit den Gräsern am Straßenrand - den ungebetenen Heiligen aus der Fassung bringt.

An Martin Kusejs Residenztheater greifen längst noch nicht alle Rädchen ineinander. Mit diesem beispiellosen Ensemble im Rücken könnte die Zukunft aber rosig sein. (Ronald Pohl aus München / DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2011)