Regeln und Wünsche fürs Publikum: "wie wir es tun sollten" von Johannes Schrettle.

Foto: Wolfgang Silveri

 Modulstücke über Graz, den Sozialstaat und allgemeine Ratschläge.

Graz - "Die Ernennung der Stadt Graz zur Weltstadt war seit langem mehr als überfällig gewesen." Die Stimme auf einem MP3-Player macht gute Stimmung und lotst das sich singulär bewegende Publikum durch die Murstadt, macht Anmerkungen über das hier ringsum brachliegende Potenzial. Der Sprecher fordert auf, sich diese Welt einmal genauer anzusehen, das Schöne hervorzukehren, auf einem begrünten Tiefgaragendach oder in Privatgärten, durch die der Weg querfeldein führt.

Gerhild Steinbuchs Text Am Schönsten ist das, was bereits verschwunden ist, ein Auftragswerk für den Steirischen Herbst, macht den Zuseher zum Hauptakteur dieses Theaternachmittags, der als sinnlicher Audio-Spaziergang beginnt und sich dann im Heimatsaal zur Performance bündelt. Hier setzt sich auf einer durch Wände getrennten Rundbühne der suggerierte Traum vom Weltbürger fort, moderiert als Show, die mit all ihrem Glanz und ihren schönen Menschen in einem Loop gefangengehalten wird (Regie: Julie Pfleiderer). Diese auditiv-bildliche Sinnlichkeit erhält also einen unheimlichen Drall, der eine das Publikum miteinschließende Heldengeschichte von Liebe und Zukunft ins Schleudern geraten lässt: Bühnenwände kippen aus ihrer Verankerung, ein Spiegeltrick bringt Welten zum Verschmelzen, den Plot hält die Filmmusik zusammen. Und es ist nie ganz klar, ob wir, die Zuseher, nicht schon längst Teil dieser in sich perfekten Scheinwelt sind - eine aufregende Erfahrung.

"Schmutz geht, Glanz entsteht" - so imaginiert es auch Jörg Albrecht, neben Steinbuch und Johannes Schrettle der Dritte im Bunde dieses dreiteiligen Theaterprojekts. Sein Stück Die blauen Augen von Terence Hill betrachtet den Sozialstaat als einen Drehort für einen Spaghettiwestern, in dem Trickdiebe und Prügelknaben für ihr Auskommen sorgen: "Hartzen für ein Halleluja"! Auf der Bühne des Orpheum wirkt der eng strukturierte, vielschichtige Text allerdings übersteuert (Regie: Steffen Klear), trotz grandioser Spieler wie Sebastian Thiers, Mathias Znidarec, Steffen Klewar und Janna Horstmann.

Im Gewand eines scheinbar einfachen Slapstickabends steckt Johannes Schrettles Ratgeber-Stück wie wir es tun sollten, das er mit seiner Gruppe zweite liga für kunst und kultur im Theater am Lend inszeniert hat. An diesem spitzfindigen, anhand unerhört sparsam eingesetzter Körperkomik famos erblühenden Abend wird sichtbar, wie sehr Theater erst auf der Bühne entsteht, welche Ideen, Räume, Gefühle in einem Text verborgen liegen können. Simple, aneinandergereihte Sätzen wie "wir sollten uns, wenn wir politik machen, in die augen schauen" türmen sich zu einer losen Ansammlung von Verhaltensregeln auf, deren Sprechsubjekt sich - ein Jelinek'sches Verfahren - rückwirkend unerwartet ändert: Was die Altachtundsechziger gut finden, müssen zwangsläufig nicht auch die Angler oder die Eggenberger gut finden. Die Freiheit und Beweglichkeit dieses Textes wurde erst im Spiel frappant. Davon möchte man gerne mehr sehen, nicht nur in solchen festival-affinen Kombinationen. (Margarete Affenzeller/ DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2011)