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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Unter dem Titel "Mit breiter Ethikdebatte heraus aus dem Korruptionssumpf" nimmt Anton Bucher, katholischer Theologe an der Universität Salzburg, die in Österreich grassierende Korruption zum Anlass, einmal mehr den Ethikunterricht einzufordern. "Wo lernt unsere nachwachsende Generation Ethik?", fragt Bucher.

Offenbar nicht in der christlichen Lehre und schon gar nicht im Religionsunterricht, der - so sagen seine Verteidiger - ja eigentlich die ethischen Werte bilden soll. Die zahlreichen Korruptionsaffären erbringen nur den beeindruckenden Beweis, dass der Religionsunterricht auf der ganzen Linie kläglich versagt und jede Legitimation verloren hat.

Korruption beweist Debakel des Religionsunterrichts

Denn diejenigen (Strasser, Grasser, Mensdorff-Pouilly usw.), die diese Korruptionslawine ausgelöst haben, sind als (tief-)gläubige Christen bekannt. Die Schüssel-Regierungen waren außerdem von einem tiefen, zur Schau getragenen (christlichen) Glauben geprägt - Wallfahrten (Mariazell...) - und sozusagen im Auftrag Gottes zustande gekommen - Rauch-Kallat dankte 2002 "dem lieben Gott" für die 42Prozent der ÖVP und dafür, dass er "unserem Wolfgang Schüssel die Kraft gegeben hat, das alles durchzustehen".

Wer erteilt den Ethikunterricht?

Nun kann man Anton Bucher Recht geben, wenn er statt des Religionsunterrichts einen Ethikunterricht fordert. Allein, wer soll ihn erteilen? Jene Religionslehrer, die über Jahrzehnte als Ethikausbildner versagt haben? Warum sie ausgerechnet jetzt Erfolg haben sollen, sagt uns Bucher nicht. Er sagt uns auch nicht, wie die Kinder davor bewahrt werden sollen, dass sie dann eben einen verpflichtenden katholischen "Religionsunterricht light" bekommen, wie es jetzt großteils in den Schulversuchen der Fall ist. Im besten Fall scheint seine Argumentation nicht durchdacht. Und wenn man über die Grenzen sieht: In den wenigen Ländern, in denen es einen Ethikunterricht gibt, ist es auch nicht besser. Siehe Großbritannien, wo sich eine ganze Politikergeneration schamlos bereichert hat.

Du sollst nicht lügen...

Wie schon bei der parlamentarischen Enquete im Mai und wie manch anderer aus dem (religiösen) Lager der Verfechter des Ethikunterrichts argumentiert Anton Bucher außerdem damit, dass der (verpflichtende) Ethikunterricht "in allen anderen EU-Staaten längst im Regelschulwesen implementiert ist". Ich möchte Anton Bucher an das achte Gebot erinnern, das besagt: "Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen" - anders gesagt: Du sollst nicht lügen. Denn, dieses Argument, ob von Bucher oder anderen, ist eine glatte Lüge, die leicht zu widerlegen ist.

Wo es keinen verpflichtenden Ethikunterricht gibt

Einen Ethikunterricht - oder Ähnliches wie den "cours de morale" in Belgien oder die "Humanistische Lebenskunde" in Berlin - gibt es in der Form, wie Bucher ihn beschreibt oder ihn sich wünscht (also verpflichtend und flächendeckend), zumindest in den folgenden Ländern definitiv nicht: Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Malta, Portugal, Rumänien, Spanien und die Tschechische Republik. Hingegen aber in Belgien, Dänemark (kristendomskundskab), Großbritannien (religious studies), Luxemburg (éducation morale et sociale), Schweden (religionskunskap) und Slowenien.

Für einen ehrlichen Meinungsaustausch

Ob im Falle Anton Bucher diese Unwahrheit absichtlich und wissentlich verbreitet wird oder nicht, ist nicht relevant. Relevant sind hingegen - wenn man schon von Ethik spricht - Werte wie Redlichkeit, Sachlichkeit und Seriosität. Denn gerade diese Werte und Verhaltensweisen bilden die Voraussetzung für einen ehrlichen Meinungsaustausch, der von Toleranz und vor allem Respekt geprägt ist. Wer Unwahrheiten verbreitet, und seien sie nur Produkt des eigenen Wunschdenkens, zeigt sich verächtlich den anderen gegenüber und schürt Misstrauen. Und mit einem ethischen Verhalten hat dies reichlich wenig zu tun. (Leser-Kommentar, Philippe Lorre, derStandard.at, 18.10.2011)