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Ayrton Senna und Alain Prost, die besten ihrer Zeit.

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Der gelbe Helm als Markenzeichen.

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Ayrton Senna versprach in der Box eine große Show. So erzählt es Gerhard Berger vor dem diesjährigen Grand Prix von Japan. Und der Österreicher sollte sie 1990 in Suzuka zu sehen bekommen, erste Reihe fußfrei. Alain Prost ging mit seinem Ferrari noch vor der ersten Kurve in Führung, viel weiter kam er allerdings nicht mehr. Senna im McLaren hatte ihn ohne Rücksicht auf Verluste abgeschossen, beide Boliden landeten im Kiesbett. Es mag eine jener Szenen gewesen sein, die Prost zu denken gab: "Ayrton hat ein kleines Problem: er denkt, er könne sich nicht töten. Das ist sehr gefährlich."

Der Crash machte Senna zum Weltmeister. Er sah darin nicht nur einen sportlichen Erfolg, in erster Linie war es für den Brasilianer ein Sieg der Gerechtigkeit. Als Inhaber der Pole Position wurde er auf die Innenseite des Kurses verbannt. Prost ging als Zweiter auf der Außenseite und damit auf der Ideallinie mit wesentlich mehr Bodenhaftung ins Rennen. FIA-Präsident Jean-Marie Balestre hatte so entschieden. Als Landsmann von Prost, zu Ungunsten des Trainingsschnellsten. Senna sah sich als Opfer einer Verschwörung und in einer Kollision wohl die beste Möglichkeit, Gerechtigkeit zu erlangen. Prost wollte ihm nur noch die "Faust ins Gesicht schlagen."

Disqualifikation 1990

Nur ein Jahr zuvor hatte die Feindschaft ebenfalls in Suzuka ihren ersten Höhepunkt erreicht: auch damals kam es im Titelkampf zur Kollision der damals gemeinsam bei McLaren-Honda fahrenden Piloten. Auch wenn Prost jegliche Absicht verneint, Weltmeister war er nach dem Unfall trotzdem. Senna gewann zwar das Rennen, wurde aber nachträglich disqualifiziert, weil er nach dem Zusammenstoß die Schikane abkürzte. Balestre brachte so nicht nur Senna ("I was treated like a criminal") in Rage, sondern auch dessen Teamchef Ron Dennis. Der Engländer setzte alle Hebel in Bewegung, um das Urteil aufzuheben. "Es war das erste Mal, dass sich ein Teamchef gegen seinen eigenen Fahrer stellte. Gegen einen Fahrer, der soeben Weltmeister wurde", erinnert sich Prost heute zurück.

Nicht nur diese Geschichte erzählt die Dokumentation mit dem schlichten Titel "Senna". Der englische Regisseur Asif Kapadia hat sich durch das Leben des Brasilianers gewühlt, um Archivmaterial mit aktuellen Interviews von Zeitzeugen zu kombinieren. Einer derer ist eben Alain Prost, er berichtet von der unvermeidlichen Kollision zweier gegensätzlicher Charaktere. Und der Zuseher merkt: der 56-Jährige will nichts beschönigen, er erzählt, wie es tatsächlich war. Ja, er hat Senna verachtet. Er war regelrecht angewidert. Als er bei Williams anheuerte, stellte er nur noch eine Bedingung: der Brasilianer darf nicht sein Teamkollege werden. Und als er es doch werden sollte, beendete der Franzose lieber seine Karriere, als Weltmeister wohlgemerkt.

Hirn vs. Leidenschaft

Der vierfache Champion hat seinen Platz in der Motorsportgeschichte gefunden, sein Name steht für Rennen mit Hirn. Der Name Senna hingegen für Emotion und Leidenschaft. Natürlich führen diese Attribute eher zum Status des Helden. Aber nicht immer zum sicheren Sieg. 1988 drehte der Brasilianer in Monte Carlo serienweise seine Rekordrunden, er flog geradezu in Trance durch die Straßenschluchten des Stadtkurses, ehe er mit einer guten Minute Vorsprung vor dem Tunnel in die Leitplanken krachte und Prost den Sieg erbte: "Er wollte mich nicht schlagen, er wollte mich demütigen, das war seine Schwäche." Mit geschickten Entscheidungen konnte Prost Senna Paroli bieten, mit dem ureigenen Speed sicher nicht: selbst als Prost 1989 Weltmeister wurde, stand Teamkollege Senna dreizehn Mal auf der Pole Position.

"Senna" zeigt den Aufstieg eines unglaublich talentierten Jungen aus gutem Haus, der sich 1984 auf einem unterlegenen Toleman-Hart aus dem verregneten Monaco emporhob, um als Fahnen schwingender Seriensieger zum quasi Schutzheiligen einer gebeutelten Nation zu werden. Ob er tatsächlich "der beste Fahrer aller Zeiten" war, wie es ein Zitat von Niki Lauda auf dem Cover der DVD behauptet? Unmöglich zu überprüfen, aber Michael Schumacher fuhr seine erste Pole Position just 1994 in Monte Carlo, im ersten Rennen nach Sennas fatalem Unfall. Trotzdem: die Gesetzmäßigkeiten des Profisports lassen einen zumindest erahnen, dass Senna mit dem jungen Schumacher nicht ewig Schlitten gefahren wäre. Er musste dem ungestümen Deutschen die Leviten lesen, wohl auch ahnend, dass hier ein neuer Konkurrent erwächst.

Die Kunst des Erzählens

Senna hatte eine sehr leidenschaftliche, unvergleichliche Art über seinen Sport zu sprechen. Rennfahren war für ihn niemals nur ein plumpes "im Kreis Fahren", wie es Lauda einst beschrieb. Er fand stets anmutige Worte, um seine Gefühle im Cockpit und die Schönheit des Sieges zu beschreiben. Und unter dem Strich blieb die Erkenntnis: "Racing, competing, is in my blood. It's part of me, it's part of my life. I've been doing it all my life. And it stands up before anything else." Als Ex-Weltmeister Jackie Stewart einst seine kompromisslose Fahrweise in einem TV-Interview zur Rede brachte, erklärte ihm der Brasilianer auf eindringliche Weise seine Sicht des Rennsports. Und spätestens bei dieser Aufnahme wird dem Seher von "Senna" bewusst, dass dieser junge Mann kaum oder nur durch den Tod zu stoppen ist.

Eben jener ereilte Ayrton Senna am 1. Mai 1994 beim Großen Preis von San Marino. Er startete im dritten Rennen aus der ihm gebührenden Pole Position, ehe sein Williams in der sechsten Runde an der Betonmauer der mittlerweile entschärften Tamburello-Kurve zerschellte. Die Saison hatte schlecht begonnen, Senna verdächtigte das siegreiche Benetton-Team mit illegalen Mitteln zu kämpfen. Einmal mehr wurden die Rennen durch Regelwerk und Politik beeinflusst. Dieser Teil des Spiels war Senna zuwider, in solchen Momenten erinnerte er sich wehmütig an den Kartsport zurück, an das pure Rennfahren, wie er es nannte.

Untrennbare Geschichten

Wenn Alain Prost heute so frei und ohne Verbitterung über seine Beziehung zu Ayrton Senna sprechen kann, dann wohl auch weil durch seinen Rücktritt eine deutliche Entspannung in deren Verhältnis einzog. Fortan dominierte der gegenseitige Respekt die Kommunikation. Am Tag vor Sennas Tod sprach dieser sogar davon, seinen langjährigen Konkurrenten zu vermissen. Als Fan muss man sich retrospektiv gar nicht zwischen den beiden Charakteren entscheiden: Senna wuchs an Prost und umgekehrt, sie schrieben jeweils die Legende des anderen. Ihre Geschichten sind eins und gehören wohl zu den besten des Sports. Eine große Show eben. (Philip Bauer; derStandard.at; 7. Oktober 2011)