Er könne sich nicht erinnern, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, er wisse nicht, wer dieser Lyriker sei, sagte Marcel Reich-Ranicki am Donnerstag. Für einmal hob sich der Literaturpapst wissensmäßig also nicht wesentlich von der literarischen Gemeinde ab. Allerdings dürfte ihm entgangen sein, dass die Werke des 1931 als Sohn eines Journalisten und einer Lehrerin in Stockholm geborenen Tomas Tranströmer in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurden und der Schwede lange schon als "der ewige Nobelpreiskandidat" gehandelt wird.

Zunächst deutete wenig darauf hin, dass sich Tranströmer, der bei seiner alleinerziehenden Mutter als Einzelkind aufwuchs, der Literatur zuwenden würde. Das Berufsziel lautete: Archäologe und Naturwissenschafter. Frühe Konzert- und Museumsbesuche sollten aber die Weichen anders stellen - so wie zwei einschneidende Erlebnisse.

Tranströmer schildert sie in seiner Autobiografie Die Erinnerungen sehen mich. Einmal war er als Fünfjähriger der Mutter für ein paar Stunden abhandengekommen und verbrachte Stunden der Panik, später, als Jugendlicher, ging er durch schwere Angstzustände. Als Maturant hatte Tranströmer zwar erste Gedichte geschrieben, es sollte aber bis 1954 dauern, bis sein erster Gedichtband publiziert wurde. Zu dieser Zeit hatte Tranströmer den zweijährigen Militärdienst hinter sich und studierte gerade Psychologie an der Uni Stockholm, der er bis 1960 als wissenschaftlicher Mitarbeiter treu blieb.

Anschließend arbeitete er als Psychologe in der Jugendstrafanstalt Roxtuna. Desillusioniert quittierte er die Stelle 1965. Seinen Beruf als Psychologe (etwa für das schwedische Arbeitsamt) übte Tranströmer, der mit seinen elf Büchern zum bekanntesten Lyriker Schwedens avancierte, hingegen weiter aus. Der seit 1965 mit einer Krankenschwester verheiratete Autor - das Paar hat zwei Töchter - gilt als äußerst naturverbunden, bescheiden und umgänglich. Dazu ist er ein ausgewiesenermaßen begabter Amateurmusiker, der Orgel und Klavier spielt.

Ein Schlaganfall im Jahr 1990 beeinträchtige das Sprachzentrum des Autors schwer, er schrieb allerdings mit der Hilfe seiner Frau weiter. Der Nobelpreis, so Tomas Tranströmers Tochter Paula, komme für die Familie, die vor einiger Zeit vom Land wieder nach Stockholm zog, überraschend. In einem Interview sagt sie: "Jetzt müssen wir wohl ein paar Vasen für all die Blumen kaufen." (Stefan Gmünder / DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2011)