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Daniel Shechtman

Foto:Ariel Schalit/AP/dapd

Atommodell eines Quasikristalls. In solchen Materialien sind die Atome bzw. Moleküle in einer scheinbar regelmäßigen, in Wahrheit aber aperiodischen Struktur angeordnet.

Illustration: Ames Laboratory, US Department of Energy

Stockholm/Wien - Wer geglaubt haben sollte, dass es in der Wissenschaft - und zumal in der Spitzenforschung - immer nur vernünftig und rational zugeht, dem kann Daniel Shechtman aus eigener Erfahrung ganz andere Geschichten erzählen. Doch immerhin scheint es so, dass sich letztlich doch meist die Wahrheit durchsetzt: Shechtman ist jedenfalls, nachdem er jahrelang den ärgsten Widerständen gegen seine Entdeckung der Quasikristalle ausgesetzt war, am Mittwoch mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden.

Als der israelische Materialwissenschafter am 8. April 1982 beim Studium einer Aluminium-Mangan-Legierung durch das Elektronenmikroskop blickte, traute er seinen Augen nicht: Er sah zehn Punkte, die um einen Punkt angeordnet waren - eine nach den damals gültigen Gesetzen der Kristallografie völlig unmögliche Molekülanordnung.

Festkörper sollten sich demnach entweder in periodischer Struktur präsentieren, wie das bei herkömmlichen Kristallen der Fall ist, oder ohne jegliche Ordnung - wie im Fall von Glas. Die von Shechtman entdeckte sogenannte fünfzählige Symmetrie passte nicht in das Dogma des Fachs und wurde entsprechend konsequent bekämpft: Der Forscher erhielt vom administrativen Leiter der Arbeitsgruppe die Aufforderung, diese zu verlassen, weil er Schimpf und Schande über sie bringen würde.

Der erste Publikationsversuch der bahnbrechenden Erkenntnis im "Journal for Applied Physics" scheiterte. Als die Veröffentlichung im November 1984 dann doch gelang, folgte in der Scientific Community ein nahezu einhelliges Bruhaha, wie sich Shechtman später erinnerte.

Sehr viele andere Wissenschafter hätten wohl aufgegeben, und so versteht das Nobelpreis-Komitee die Auszeichnung für Shechtman auch als eine Anerkennung für seine Beharrlichkeit. Denn erst nach Jahren wendete sich langsam das Blatt zugunsten des Außenseiters, der unter anderem Trost in Thomas Kuhns Klassiker "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" fand. Darin wird beschrieben, wie gerade die größten Innovationen in der Wissenschaft meist den härtesten Widerständen ausgesetzt sind.

Mit dem Tod von Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling, dem Hauptfeind der Quasikristalle, war dann die Kritikerfront durchbrochen. Doch auch mit deren Akzeptanz war nicht klar, worin ihr praktischer Nutzen bestehen könnte - ein Kriterium für die Nobelpreisvergabe. Das hat sich mittlerweile auch geklärt: Das undogmatische Material kann für besonders harte Metalllegierungen - etwa bei Rasierklingen - eingesetzt werden. Die geringe Wärmeleitfähigkeit von Quasikristallen könnte zu thermoelektrischen Materialien führen, die Hitze in Elektrizität umwandeln können. Zudem wird untersucht, wie sie als Beschichtung für Bratpfannen genutzt werden können. (tasch, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. Oktober 2011)