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Schwertlilien und Leoparden der anderen Art bekommt zu Gesicht, wer auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig unterwegs ist. In den Panzerspuren des Leopard 2A4 entwickelt sich neues Leben.

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Allentsteig - Erfahrungen mit der außergewöhnlichen und rauen Landschaft des Truppenübungsplatzes Allentsteig können vielfältig aussehen. Naturschutzbiologen beispielsweise sind ob der immensen Artenvielfalt der Flora und Fauna in den kleinen Tümpeln des abgelegenen Landstrichs im Waldviertel hocherfreut. "Hier finden stark bedrohte und geschützte Gewächse wieder einen Lebensraum", sagt Thomas Wrbka von der Uni Wien. Rekruten, die sich an die Feuchtgebiete erinnern, zucken freilich zusammen.

Es war oft das Überschreiten eines schlammigen Terrains, das schadenfrohe Übungsleiter während der Grundausbildung dazu veranlasste, just in dem Moment den "Feind" zu erblicken. Das hieß für die jungen Soldaten: "Sprung vorwärts, decken!" Im Dreck verlor der Anblick seltener Pflanzen - das lässt sich, nun ja, aus erster Hand sagen - seinen Reiz.

Die Pfützen, die Panzerspuren während einer Militärübung hinterließen, konnte man angeblich am besten robbend durchqueren, sagte zumindest der ausbildende Zugsführer. Dass sich in diesen flachen Tümpeln auch so seltene Tiere wie Urzeitkrebse suhlen, war dem waschelnassen Grundwehrdiener herzlich egal.

Und dass im Unterholz der Birkenwälder die seltene Sibirische Schwertlilie blüht, war für Rekruten weniger wichtig als die Behauptung des Vizeleutnants, am wirkungsvollsten könne man sich nebenan im stacheligen Dornenbusch vor dem "Feind" verbergen. Rund 30.000 Soldaten dürfen die Aura des 157 km2 großen Truppenübungsplatzes, der in etwa so groß ist wie das Fürstentum Liechtenstein, jährlich genießen. Allein heuer hat das Bundesheer bis Ende August 144 Schieß- und 162 Übungstage absolviert.

Natur schlägt zurück

1938 hat die deutsche Wehrmacht das Gebiet zum Truppenübungsplatz erklärt, 1957 übernahm das Bundesheer einen Großteil. Soldaten sind seither die einzigen Gäste, bis auf ein paar landwirtschaftlich genutzte Flächen ist das Gelände nämlich militärisches Sperrgebiet und nicht öffentlich zugänglich.

"Die Natur konnte sich hier ein Stück Land zurückerobern", sagt Thomas Wrbka, der selbst während seines Präsenzdienstes 1977 das Vergnügen mit Allentsteig hatte. "Der nordische Landschaftscharakter hat mich damals verzaubert." Ein paar Jahre später kam Wrbka zurück - als Biologe. Und was er da im Auftrag der Wissenschaft entdeckt hat, ließ ihn durchaus erstaunen.

Die unregelmäßige Anwesenheit des Militärs stört die Entwicklung im heimlichen Nationalpark nämlich nicht, gelegentlicher Gewehrbeschuss und Granathagel, marschierende Soldaten oder ratternde Panzer können dem Naturjuwel nichts anhaben. "Im Gegenteil", sagt der heute 52-jährige Wiener. "Kleine Tümpel, die Panzerketten hinterlassen haben, gelten interessanterweise als schützenswerte Lebensräume." So wissen diese Feuchtflächen seltene Gewächse wie Zwergbinsengesellschaften genauso zu schätzen wie verschiedene Arten von Amphibien, Reptilien, Schnecken und Muscheln.

Birkhuhns Heimat

In der verwilderten Kulturlandschaft mit hohem Anteil an unbewirtschafteten Brachflächen (45 Prozent) fühlt sich das Birkhuhn besonders wohl. Auch der Wachtelkönig - ein Vogel, der wie das Birkhuhn auf der roten Liste der gefährdeten Arten steht - ist in Allentsteig stark vertreten. "Hier findet sich die größte Population Österreichs", sagt Wrbka. Den geschützten Mikrokosmos am Truppenübungsplatz, wo neben 13 verschiedenen Fledermausarten auch schon der eine oder andere Elch gesichtet wurde, fasst Wrbka so zusammen: "Was früher häufig war, ist hier nach wie vor da."

Dieser Artenreichtum ist auch der Vertreibung von 6800 Menschen geschuldet. Sie wurden bei der Gründung des Truppenübungsplatzes ab 1938 zwangsumgesiedelt. Wrbka: "Das sollte bei aller Freude über diesen Naturschutzerfolg im Herzen Mitteleuropas nicht vergessen werden." (David Krutzler/DER STANDARD-Printausgabe, 6.10.2011)