Monatelange Vorbereitungen und Verhandlungen haben nichts gefruchtet: Auch nach einer brutalen Repressionswelle mit tausenden Toten und Verletzten, mit Verschwundenen, Verhafteten, Gefolterten gibt es keine Verurteilung Syriens im Uno-Sicherheitsrat. Russland und China haben ihr Veto gegen eine ohnehin im Ton herabgestimmte Resolution eingelegt. Das ist eine Ohrfeige für die syrische Opposition - für ihre Vertreter, die mit der Gründung eines Nationalen Rates ihre von der internationalen Gemeinschaft verlangten Hausaufgaben gemacht haben, aber für allem für die Syrerinnen und Syrer, die auf die Straßen gehen und dachten, ihre Proteste würden international gehört. Sie wurden im Sicherheitsrat delegitimiert.

Aber es ist ein tragischer Moment nicht nur für die Gegner des Assad-Regimes, sondern insgesamt für Syrien: Moskau und Peking, die meinen, dem syrischen Regime die Stange halten zu müssen, tragen dazu bei, das Land ins Chaos zu stürzen. Es wird sich nicht beruhigen, im Gegenteil. Friedliche Demonstranten werden nach ihrer Zurückweisung und Delegitimierung im Uno-Sicherheitsrat das Vertrauen in ihre Mittel verlieren und vermehrt beginnen, zu Waffen zu greifen. Bezahlen werden alle Syrer, auch jene, die Russland und China mit ihrem Veto schützen wollten. Vielleicht letztlich diese mehr als die anderen.

Denn der Aufstand in Syrien steht an einer entscheidenden Wegmarke. Auch kritische Oppositionelle sehen die Gefahr einer Radikalisierung der Demokratiebewegung; eines Bürgerkriegs, in dem jene Kräfte innerhalb und außerhalb, die sich Syriens Ankunft in der politischen Moderne wünschen, keine Chancen mehr haben. Wer von der Politik im Stich gelassen wird, dem bleiben vor allem religiöse Parolen - die sich nicht nur im Fall Syrien inklusiv an die eigene Gruppe richten. Das ist es ja, wovor auch viele Christen und Alawiten Angst haben, die mit dem Assad-Regime nicht sympathisieren.

Die Frage, warum der Sicherheitsrat im Fall Libyen so schnell zu einem Mandat zum Eingreifen fand und in Syrien sich nicht einmal auf Sanktionen einigen kann, ist falsch gestellt. Auch wegen Libyen geht bei Syrien gar nichts: Mit ihrer damaligen Stimmenthaltung haben Moskau und Peking aus ihrer retrospektiven Sicht ihre Einwilligung gegeben, dass die Nato in Libyen einen "regime change" vorantrieb. Der Behauptung, dass der Einsatz nur dem "Schutz der Zivilbevölkerung" diente, hielte einer heutigen Überprüfung tatsächlich nicht stand.

Russland und China wollten diesmal nicht einmal in Ansätzen dabei sein, und selbstverständlich hat das mit ökonomischen und regionalpolitischen Interessen zu tun. In Chinas Afrika-Dominanz wurde in Libyen eine westliche Bresche geschlagen, im Nahen Osten ist Syrien aus russischer und chinesischer Sicht ein US-freier Hort, den es zu bewahren gilt.

Was zählen da die Interessen des syrischen Volkes? Wenn jedoch die USA glauben, dass sie nun in der arabischen Welt als jene gefeiert werden, deren gute Absichten im Nahen Osten von Russland und China zu Fall gebracht wurden, dann haben sie sich wohl getäuscht. In Kommentaren und Blogs am Tag danach fehlt meist nicht der Hinweis auf die US-Vetofreudigkeit, wenn es um Interessen Israels geht. Niemand im Sicherheitsrat kann sich an die Brust klopfen. Es ist ein diplomatisches Desaster für alle. (DER STANDARD Printausgabe, 6.10.2011)